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Die dreißig tolldreisten Geschichten - 1 (German Edition)

Die dreißig tolldreisten Geschichten - 1 (German Edition)

Titel: Die dreißig tolldreisten Geschichten - 1 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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ausgeschlüpfter Vater, das war ein Trost für Blancheflor, und sie gewann nach und nach wieder ein wenig von ihrer früheren unschuldigen Heiterkeit, die den alten Seneschall erquickte wie der Duft und das Leuchten einer Blume. Er gewöhnte sich auch daran, den Kleinen zu sehen, wie er sprang und tollte und seine Mutter herzte, und gewann ihn nach und nach lieb, so sehr, daß er dem übel begegnet wäre, der an seiner Vaterschaft gezweifelt hätte.
    Von dem Abenteuer seiner Frau war nichts über die Mauern des Schlosses hinausgedrungen, und so erzählte man sich im ganzen Tourainer Land mit Verwunderung, wie der alte Bruyn noch das Zeug in sich gefunden habe zu einem Sohn und Stammhalter. Die Ehe Blancheflors blieb ohne Makel. Sie hatte genug der superfeinen Klugheit, die den Frauen so natürlich ist, und hütete sich sehr, jemand von der läßlichen Sünde zu reden, wodurch ihr Kind auf die Welt gekommen war. Sie wurde fromm, und die Ehemänner im Land herum nannten sie das Muster einer tugendhaften und ehrsamen Hausfrau. Ihren Mann konnte sie um den kleinen Finger wickeln und machte reichlich davon Gebrauch. Ihr Herz gehörte René, aber mit Bruyn hatte sie ihre Absichten und war ihm scheinbar dankbar für die Blüten seines Alters, verwöhnte ihn, verhätschelte ihn, tat freundlich mit ihm, erhielt ihn in guter Laune und hatte für ihn all die kleinen Rücksichten und Zärtlichkeiten, wie gute Frauen sie im Vorrat haben für ihre Männer, die sie betrügen. Da mochte Bruyn nicht ans Sterben denken, saß breit und behaglich in seinem Stuhl, und je länger er lebte, eine um so süßere Gewohnheit wurde ihm das Leben. Aber eines Abends, nachdem er lange ruhig in seinem Stuhl gesessen, rief er plötzlich mühsam:
    »Blancheflor, mein Herzlieb, ich sehe dich nicht mehr, wird es schon Nacht?«

     
    Der Tod war über ihn gekommen, ohne daß er ihn bemerkt hatte – der Tod des Gerechten, den er wohl verdient für seine Heldentaten im Heiligen Lande.
    Blancheflor legte große Trauer an, sie beweinte ihn wie einen Vater. Sie wollte auch von einer zweiten Heirat nichts hören, was ihr bei den guten Leuten viele Lobreden eintrug durchs ganze Land, wo niemand wußte, daß sie einen Herzgeliebten hatte, auf den sie hoffte. Sie war aber in der Tat Witwe, auch nach dem Herzen, und da sie nicht die kleinste Nachricht erhielt von ihrem kreuzfahrenden Freund, glaubte sie ihn tot, und in der Nacht, wenn sie von ihm träumte, sah sie ihn nie anders als tödlich verwundet hingestreckt in seinem Blut. Dann erwachte sie oft, übergossen mit heißen Tränen. So lebte sie vierzehn Jahre lang ganz in der Erinnerung eines kurzen, verflossenen Glücks.

     
    Dann waren eines Tages einige Edelfrauen des Landes bei ihr, es war nach Tisch, und die Damen plauderten zusammen, da kam ihr Knabe herein, der damals ungefähr dreizehn und ein halbes Jahr alt war und dem verschollenen René mehr glich, als es einem Kind erlaubt ist, seinem Vater zu gleichen. Von dem verstorbenen Bruyn hatte er nichts als den Namen. Dieser schöne Wildfang, entzückend wie seine Mutter, kam vom Garten hergerannt, ganz in Schweiß, ganz außer Atem, links und rechts wegstoßend, was ihm im Weg stand, wie solche Rangen pflegen. Als er die geliebte Mutter sah, lief er auf sie zu, warf sich ihr um den Hals, und unbekümmert um die schönen Reden der Damen rief er: »Mutter, ich habe dir was zu sagen! Da drunten im Hof war ein Mann, der hat mich angepackt, und Augen hat er gemacht ...«

     
    »Was muß ich hören?« rief die Schloßherrin, indem sie sich an den Diener wandte, der damit beauftragt war, über den jungen Grafen zu wachen. »Ich hatte Euch verboten, zu gestatten, daß je ein fremder Mann meinen Sohn berühre, und sollte es auch ein großer Heiliger sein ... Ihr werdet meinen Dienst verlassen.«
    »Hohe Frau«, erwiderte der gescholtene Stallmeister, »der da unten hatte keine bösen Absichten. Er küßte den Knaben, und die Tränen standen ihm in den Augen.«
    »Er hat geweint?« rief sie aus. »Es ist der Vater.«
    Sprach's und ließ das Haupt hängen, tief über den Sessel hinab, auf dem sie saß und welcher der nämliche war, auf dem sie einst zusammen gesündigt hatten.
    Bei dem unvorsichtigen Wort der Schloßherrin sahen sich die Damen an und bemerkten erst gar nicht, daß die arme Seneschallin tot war; wirklich, sie war tot, ohne daß man je erfahren konnte, ob sie aus Schmerz gestorben, weil ihr Geliebter, treu seinem Gelübde, davongeritten war, ohne

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