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Die dreißig tolldreisten Geschichten - 1 (German Edition)

Die dreißig tolldreisten Geschichten - 1 (German Edition)

Titel: Die dreißig tolldreisten Geschichten - 1 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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brachte

     
    »Bei Gott«, rief der Abt, nachdem der Page das letzte Kyrieeleison seiner Sündenlitanei heruntergebetet hatte, »bei Gott, du hast dich der ungeheuerlichsten Treulosigkeit schuldig gemacht, du hast deinen Herrn und Gebieter verraten! Weißt du auch, du Unglückswurm, daß du dafür in der Hölle brennen wirst durch alle Ewigkeit? Und weißt du, was das heißt, die ewige Seligkeit zu verlieren für einen Augenblick hinfälligen irdischen Glücks? Unglücklicher, ich sehe dich schon zum voraus schmoren in dem heißesten Ofen der Hölle, es sei denn, daß du noch zu deinen Lebzeiten Genugtuung und Sühne leistest für deine Missetat.«

     
    Und also machte der gute Abt, der von dem Holze war, aus dem man die Heiligen schnitzt, und als solcher schon zu seinen Lebzeiten im ganzen Tourainer Lande verehrt wurde, machte er, sagte ich, mit einem ganzen Haufen von Vorstellungen und Drohungen und christlichen Argumentationen dem jungen Manne dergestalt die Hölle heiß, trug aus dem Kanon der Kirchengesetze, aus den Schriften der Väter und was weiß ich woher, eine solche Menge von Beredsamkeit zusammen, als ein armer Teufel, der eine Jungfrau verführen will, in sechs Wochen nicht fertigbringt, und ließ nicht eher ab, als bis René, der in seinem Herzen trotz allem ein frommes Kind war, sich zu seinen Füßen stürzte und christliche Unterwerfung gelobte.
    Und der genannte Abt, wohl wissend, daß man das Eisen schmieden muß, solange es glüht, und der aus dem jungen Pagen, der dem Herrn Teufel wahrlich mehr als einen Schritt entgegengegangen war, seiner Sünden ungeachtet einen heiligen und tugendhaften Mann machen wollte, befahl ihm zuvörderst, daß er hingehe und zu den Füßen seines Herrn sich seiner Schuld anklage, dann aber, wenn er je mit heiler Haut und ganzen Gliedern aus dieser Beichte hervorginge, sich unverzüglich das Kreuz anhefte, um schnurstracks nach dem Heiligen Lande zu ziehen und gegen die Ungläubigen zu kämpfen, fünfzehn Jahre lang, keinen Tag mehr und keinen weniger.
    »Oh, ehrwürdiger Vater«, sprach der Kleine ganz verwundert, »werden fünfzehn Jahre auch eine hinreichende Sühne sein für soviel Glück der Sünde? Wenn Ihr wüßtet, Vater, Ihr habt aber sicher diese Seligkeit nicht verschmeckt, würdet Ihr tausend Jahre für viel zuwenig halten.«
    »Der liebe Gott wird es nicht so genau nehmen«, sprach der Abt, »geh hin und sündige künftig nicht mehr; unter dieser Voraussetzung spreche ich dich los, ego te absolvo ...«
    Ganz zerknirscht kehrte der arme René nach Schloß La Roche-Corbon zurück, und der erste Mensch, dem er in die Hände lief, war der Seneschall, der im Hof seine Waffen putzte: Eisenhauben, Halsberge, Armschienen und was sonst dazugehörte. Er saß auf der großen Steinbank am Tor, und es tat ihm wohl zu sehen, wie die Sonne in dem gescheuerten Harnisch blinkte; das erinnerte ihn an die lustige Zeit im Heiligen Land, an seine Heldentaten, an die schönen Sarazeninnen et cetera. René warf sich ihm zu Füßen.
    »Was soll das?« fragte erstaunt der gute alte Seneschall.
    »Mein gnädiger Herr«, antwortete Rene, »befehlt zuerst denen da, daß sie sich zurückziehen.«
    Nachdem dies geschehen, begann der Page zum zweitenmal seine Beichte und erzählte, wie er seine Herrin im Schlaf überfallen, in Nachahmung jenes Mannes mit der heiligen Lidoria, also daß sie für sicher ein Kind von ihm empfangen. Auf Befehl seines Beichtvaters sei er hier zu den Füßen seines Herrn, um sich ihm auf Gnade und Ungnade zu überantworten.
    Nach diesen Worten senkte René seine Augen, von denen alles Unglück ausgegangen war, und kniend, mit niederhängenden Armen, mit entblößtem Haupte, furchtlos und ganz ergeben in Gottes Barmherzigkeit, erwartete er sein Schicksal.
    Der Seneschall war noch nicht so weiß, um nicht erbleichen zu können, und sein Gesicht bekam die Farbe einer frisch gekalkten Wand. Eine Zeitlang blieb er starr vor Wut, dann aber sprang er auf, und da zeigte es sich, daß ein Mann, dem längst nicht mehr soviel Lebenskräfte in seinen Adern rinnen, um ein Kind in das Leben zu befördern, noch Kraft genug haben kann, einen Mann in den Tod zu schicken. Der Seneschall ergriff mit seiner haarigen Rechten den Harnisch an seiner Seite und schwang ihn mit hocherhobenem Arm, wie wenn es ein Kinderspielzeug gewesen wäre; noch einen Augenblick, und die schwere eiserne Masse mußte niedersausen auf die Stirn des erbleichten René, der stillhielt in seinem

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