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Die dreißig tolldreisten Geschichten - 1 (German Edition)

Die dreißig tolldreisten Geschichten - 1 (German Edition)

Titel: Die dreißig tolldreisten Geschichten - 1 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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aber sie zehrte auch an ihm, während er selber wenig zu verzehren hatte.

     
    Dieser hübsche Fant war der guten Gräfin in ihren Todesängsten eingefallen: ihn in den Tod zu locken, war sie in die Messe gekommen.
    Der verliebte Säulenheilige stand bei ihrem Eintreten, die Schulter an den Pfeiler gelehnt, an seinem gewohnten Platz; sie erkannte beim ersten Blick, daß er sich nach ihr gesehnt hatte wie ein Kranker nach der Morgensonne eines schönen Frühlingstags. Sie aber kehrte sich von ihm ab und schritt auf die Königin zu, auf deren Rat und Hilfe sie hoffte in ihrer Bedrängnis um ihren Geliebten. Aber einer der Hauptleute von der Leibwache verneigte sich ehrfurchtsvoll vor ihr und sprach:
    »Madame, es ist uns unter Todesstrafe befohlen, Euch zu verhindern, daß Ihr an irgend jemand das Wort richtet, sei es Mann oder Frau, sei es auch die Königin, sei es sogar Euer Beichtvater. Wir bitten Euch inständig, denn unser aller Leben steht auf dem Spiel.« »Ist es nicht eure Pflicht«, antwortete sie bitter, »für euren Herrn zu sterben?«
    »Ihm zu gehorchen ist zuvörderst unsre Pflicht«, erwiderte der Landsknecht.
    Und so begab sich die Dame nach ihrem Betstuhl, doch warf sie zuvor einen Blick nach ihrem treuen Anbeter und fand, daß sein Gesicht blasser und eingefallener aussah als je.
    »Ach was«, sagte sie bei sich, »dem sitzt der Tod schon im Herzen, meine Sünde wird nur halb so groß sein.«
    Indem sie so bei sich dachte, warf sie dem Junker Blicke zu, wie sie nur Prinzessinnen und Priesterinnen der Liebe erlaubt sind, und die falsche Liebe, die sie in diese Blicke legte, träufelte sich wie Gift in das Herz des armen Junkers. Denn wer liebte nicht diese heißen Anstürme, unter denen das Leben sich zu verzehnfachen scheint und das Herz anschwillt zum Zerspringen? An der stummen Antwort des Ritters erkannte die Frau Konnetable mit jener Seligkeit und Befriedigung, die den Frauen immer ein gleich reizender Leckerbissen der Seele ist, die unwiderstehliche Allmacht ihres Blickes. In der Tat, die Wangen des Jünglings, die sich lebhaft färbten, redeten mit einer deutlicheren Eloquenz als die berühmtesten Rhetoren von Rom und Athen, und ihre Sprache wurde nicht mißverstanden. Um sich aber zu überzeugen, daß dieses Erröten mehr als ein Zufall, mußte sie die Kraft ihrer Blicke noch deutlicher erproben. Und sie wiederholte das Spiel wohl an die dreißigmal. Da hatte sie aber auch nun die unfehlbare Gewißheit, daß der Junker der Mann war, mit Tapferkeit für sie zu sterben. Sie war davon so gerührt, daß sie sich nicht enthalten konnte, ihm noch dreimal zwischen ihrem Beten mit einem alles versprechenden Blick die höchste irdische Seligkeit ins Herz zu gießen; sie wollte ihn wenigstens, wie sie sich in ihrer weiblichen Logik sagte, einmal ganz glücklich gemacht haben, ehe sie ihn dem Tod in den Rachen stieß.
    Als der Priester sich am Altare umkehrte und sein Ite missa est sang, welches bekanntlich soviel heißt als »Geht, wir sind fertig«, worauf in dieser Herde mit goldenen Vliesen sofort eine lebhafte Bewegung entstand: da näherte sich die Gräfin dem Pfeiler des verliebten Junkers, und mit einem wohlberechneten Blick lud sie den Fant ein, ihr zu folgen; ja, um sich zu überzeugen, daß sie auch wohl verstanden worden war, blickte sie sich nach einigen Schritten um und wiederholte noch deutlicher ihre Einladung. Er hatte sich noch kaum gerührt an seinem Pfeiler. Sein Glück schien seiner Bescheidenheit allzugroß, er konnte unmöglich dran glauben. Erst bei ihrer zweiten Aufforderung gewann er die Gewißheit, daß er sich nicht getäuscht, und schloß sich ihrem Gefolge an, aber noch immer zögernden Schritts, die Seele voll Bangigkeit wie ein Jüngling, der zum erstenmal nach einem jener Örter schleicht, die man die verrufenen nennt. Aber die Herzogin, die ihm, mochte sie ihn zur Rechten oder zur Linken, vor sich oder hinter sich gewahren, immer wieder von Zeit zu Zeit einen heißen Blick zuwarf, flößte ihm mehr und mehr Mut ein. Sie machte ihn nach und nach ganz kirre und zog ihn hinter sich her wie der Fischer einen Hecht, der sich in seine Angel verbissen hat. Kurz, die Gräfin schien alle Kniffe des Handwerks zu kennen, jenes Handwerks gewisser Damen, die ihre Kunden auf der Straße suchen, und man mußte da wohl an das Sprichwort denken, daß die Gegensätze einander berühren und daß oft eine große Dame von einer ganz großen Hure nicht so weit entfernt ist, als unschuldige

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