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Die dreißig tolldreisten Geschichten - 2 (German Edition)

Die dreißig tolldreisten Geschichten - 2 (German Edition)

Titel: Die dreißig tolldreisten Geschichten - 2 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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der Graf von Hocquetonville den Schimpf ahnt, den Ihr mir für immer angetan habt. Ihr, Herr Herzog, schaut viel zuviel in die Augen schöner Frauen, um noch Zeit übrig zu haben, den Blick der Männer zu studieren. Ihr seid ohne Ahnung, wer der ist, der Euch so treu dient. Der Herr von Hocquetonville ist imstande, sich für Euch in Stücke hauen zu lassen, so sehr ist er Euch ergeben aus Dankbarkeit für Eure Wohltaten und auch, weil er Euch liebt. Aber so stark wie seine Liebe, so heftig ist sein Haß, und ich bin überzeugt, daß er Manns genug ist, Euch ohne Furcht den Schädel zu spalten für einen einzigen Angstschrei, den ich Euretwegen ausstoßen müßte. Wollt Ihr meinen Tod und den Eurigen, Ungeheuer? Seid sicher, daß ich mein Unglück nicht würde verheimlichen können, es würde sichtbar auf meiner reinen Stirne geschrieben stehen. Und nun noch einmal: wollt Ihr mich freigeben oder nicht?«
    Der Wüstling tat einen hellen Pfiff. Als die Dame das hörte, stürzte sie in das Zimmer der Königin, dort ergriff sie – an einem bekannten und vertrauten Ort – ein eisernes Werkzeug mit scharfer Spitze; und als der Herzog ihr folgte, um zu sehen, was ihre Flucht zu bedeuten habe, rief sie ihm entgegen, indem sie auf eine Fuge des Fußbodens deutete:
    »Wenn Ihr diesen Strich überschreitet, so werde ich mich töten, seid dessen sicher!«
    Der Herzog aber nahm in aller Gelassenheit einen Stuhl und fing an, indem er sich hart vor sie hinsetzte, zu unterhandeln und auf sie einzureden, in der Hoffnung, die Lebensgeister des scheuen Weibs aus ihrer kühlen Ruhe aufzupeitschen, sie dahin zu bringen, daß ihr Sehen und Hören verging, und durch verführerische und laszive Bilder ihr Gehirn, ihr Herz und all ihr Blut zu hellem Aufruhr zu entzünden. In wohlgesetzten und feingewählten Ausdrücken, wie es Prinzen gewohnt sind, erklärte er ihr, daß den tugendhaften Frauen die Tugend wahrlich allzu teuer zu stehen komme, indem sie, mit Rücksicht auf eine unsichere Zukunft, die höchsten Ergötzlichkeiten der Gegenwart verschmähten; denn ihre Eheherren hüteten sich wohl aus Gründen einer hohen Politik der Ehe, ihre Neugierde zu reizen, und hielten die Schatulle mit den wahren Kleinodien der Liebe aufs sorgfältigste vor ihnen versteckt. Denn diese Kleinodien hätten ein allzu heftiges Feuer und strahlten eine solche Wonne und wollüstige Regung in Herz und Hirn, daß es so einer armen Frau aus den lauen Regionen der Häuslichkeit dabei wind und wehe würde. Eine solche Ehemanns- und Ehestandspolitik sei aber eine rechte Scheußlichkeit von Seiten des Gemahls, der, im Gegenteil, aus Dankbarkeit für das tugendsame Leben und die unschätzbaren Verdienste der Frau sich kreuzlahm und lendenlahm arbeiten müßte, um ihr im üppigsten Übermaß die seltensten und ausgesuchtesten Leckerbissen der Liebe und die süßen, berauschenden Tränklein von tausenderlei Couleuren und von tausenderlei Namen auf ihren Tisch zu besorgen. Er versicherte ihr, wenn sie erst die leckeren Dinge kennenlernte, die ihr bis jetzt böhmische Dörfer wären, so würde sie gern all ihr übriges Leben für einen Pfifferling hingeben; und dann schwur er, wenn sie ihm zu Willen sein wolle, stumm zu sein wie das Grab, also daß auch kein Spritzerchen eines Verdachts ihren Ehrenschild besudeln werde.
    Als der geriebene Lüstling sah, daß sich die Dame keineswegs die Ohren verstopfte, fing er an, ihr im Stil der Arabesken- und Groteskenmalerei, die damals sehr beliebt war, die lasziven Erfindungen der famosesten Ausschweiflinge zu schildern und auszumalen. Seine flammenden Worte begleitete er mit flammenden Blicken, immer einschmeichelnder wurde seine Rede, er berauschte sich selber an der Erinnerung seiner Laster wie derjenigen seiner edlen Freunde. Mit nichts verschonte er die Dame von Hocquetonville, nicht einmal mit den lesbischen Schleckereien und Leckereien auf der Tafel der Königin Isabelle. Immer einschmeichelnder, immer eindringlicher wurde die Eloquenz des Versuchers, und einen Augenblick schien es ihm, als ob seiner Dame die scharfe Waffe aus der Hand gleiten wollte. Er trat ihr rasch näher. Sie aber war voll Scham, daß der Satan in Menschengestalt sie über einer augenblicklichen Träumerei ertappt hatte:
    »Schöner Herr«, sagte sie, »ich danke Euch. Ihr lehrt mich meinen edlen Gemahl doppelt und dreifach lieben; aus Euren Reden ersehe ich, wie hoch er mich achtet und welche Ehrerbietung er mir erzeigt, indem er es verschmäht, das

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