Die dreißig tolldreisten Geschichten - 2 (German Edition)
eine Venuspriesterin, wie es größer keine je gegeben, die in ihrem Handwerk alle übertrifft: Kurtisanen, Freudenmädchen, Straßenhuren, Kupplerinnen und wie man sie alle nennen mag in dem zahlreichen und umfänglichen Geschlecht der Horizontalen ... Sie ist gezeugt worden in einem Augenblick, wo das Paradies berauscht war, wo die Natur neu wurde, wo Blumen und Bäume Hochzeit hielten, wo in Brunst loderte alle Kreatur. Sie ist imstande, einen Altar für ein Bett anzusehen. Aber sie ist eine zu große Dame, um sich sehen zu lassen, und ist eine zu bekannte Dame, darum bleibt sie stumm, die Schreie der Lust ausgenommen. Man braucht auch bei ihr kein Licht, ihre Augen leuchten wie Flammen, und noch weniger bedarf es ihrer Worte, sie spricht mit ihrem Leib eine wildere Sprache als die Tiere des Waldes in ihrer Berauschtheit. Das aber will ich dir sagen, Raoul, mit einem so aufbäumenden Roß ist jeder verloren, der sich nicht in der Mähne des tollen Tieres festhält. Du würdest, ohne zu wissen wie, aus dem Sattel fliegen, und mit einem einzigen Ruck ist sie imstande, dich, wenn du etwa Pech am Hintern haben solltest, an einen Balken der Zimmerdecke zu leimen. Es ist ein Weib, das nur lebt, wenn es eine Matratze unter sich hat. Sie ist mannstoll. Unser armer Freund selig, der Junker von Giac, hat sich an ihr den Tod geholt; in weniger als einem halben Frühling hat sie ihm das Mark aus den Knochen gesaugt. Aber bei Gott auch, welcher Mann gäbe nicht ein Drittel seines Lebens und künftigen Glückes dafür, sich an das Bankett setzen zu dürfen, zu dem sie die Glocken läuten läßt und die Fackeln anzündet. Wer sie gekannt hat, gibt gern für eine zweite Nacht seiner Seele ewige Seligkeit.«
»Sagt mir nur«, erwiderte Raoul, »wie es in einer so natürlichen und ewig gleichen Sache so ungeheure Unterschiede geben kann?«
Ein wieherndes Gelächter der Tafelrunde antwortete ihm. Und dann, vom Wein erhitzt und aufgefordert durch einen Wink ihres Meisters, begannen sie die ganze Geheimwissenschaft des Lasters vor den Ohren des unschuldigen Schülers auszukramen. Sie lärmten wie Tolle, wurden von ihren Worten noch berauschter als vom Wein und erzählten Dinge und hatten Ausdrücke und Redewendungen, daß die Skulpturen des Kamins und des Getäfels hätten erröten mögen. Sie selber hatten längst alle Scham im Wein ertränkt. Alle aber übertraf der Herzog. Die Dame, die in der Kammer eines Verliebten harre, sagte er, sei die Kaiserin aller Venuskünste und so unerschöpflich, daß sie jede Nacht deren neue erfinde, eine unerhörter als die andre.
Unterdessen waren die Kannen leer geworden, und Raoul ließ sich, so weit war es schon mit ihm gekommen, ohne viel Widerstreben von dem Prinzen in die Kammer stoßen, der also die Dame nötigte, sich zu entscheiden für den einen oder andern Dolch, für Leben oder Sterben.
Gegen Mitternacht verließ der Graf von Hocquetonville fröhlichen Herzens das Gemach, und nur in seinem Gewissen bedauerte er, seine gute Frau betrogen zu haben. Der Herzog von Orleans aber ließ durch eine geheime Gartentüre die Dame von Hocquetonville nach ihrem Palast geleiten, wo sie noch rechtzeitig vor ihrem Gemahl ankam.
»Dies wird unselig ausschlagen für uns alle«, hatte sie dem Herzog ins Ohr gesagt, als er sie an die Pforte brachte.
Und gerade ein Jahr später war es, daß Raoul de Hocquetonville, der inzwischen den Dienst des Herzogs mit dem Johanns von Burgund vertauscht hatte, in der Rue du Temple als erster mit einem Beile das Haupt des Herzogs traf, des königlichen Bruders, seines früheren Herrn, und ihn tödlich verwundete, wie jedermann weiß. Schon vorher war die Dame von Hocquetonville gestorben; gleich einer Blume, die ein giftiges Insekt gestochen, war sie hingewelkt. Noch heut ist in einem Kloster zu Peronne ihr Grabstein zu sehen und darauf folgende Inschrift zu lesen, die ihr Gemahl eingraben ließ:
Hier liegt
Berthe de Bourgogne
die edle und anmutige Frau
des Monsieur Raoul Grafen von Hocquetonville
Ach, betet nicht für ihre Seele
Sie ist im Himmel neu erblüht
Den elften Januar
im Jahr des Heils
MCCCCVIII
Im Alter von zweiundzwanzig Jahren
Mit Hinterlassung zweier Töchter und ihres Gemahls,
die um sie trauern
Die Inschrift war in schönem Latein abgefaßt. Aber zur Bequemlichkeit der Leser war es nötig, sie zu übersetzen, wobei man beachten mag, daß ›anmutig‹ ein schwacher Ausdruck ist für ›formosa‹, als welches bedeutet ›voller Grazie in der
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