Die dreißig tolldreisten Geschichten - 2 (German Edition)
ist es«, antwortete der Spitzmäuserich, »eben hat sich die Klappe geschlossen, ich höre nichts mehr.«
»Laßt uns sehen«, antwortete der mausige Frechling oder freche Mausling. Dann bestieg er den Kornhaufen und fing an, sich seinen ganzen Proviant für den Winter aufzuladen.
»Hört Ihr etwas?« fragte er.
»Ich höre das Klopfen meines Herzens.«
»Kui, kui«, riefen alle Mäuse, »den können wir über den Löffel barbieren.«
Unser Spitzmäuserich aber, der geglaubt hatte, einen ergebenen Diener vor sich zu haben, öffnete plötzlich die Klappe zu seinem übernatürlichen Gehörgang und hörte das Geräusch von Weizenkörnern, die in Mauselöcher rollten. Da ergrimmte er so sehr, daß er, unbekümmert um die Prozeßordnung, unbekümmert um mündliches und schriftliches Verfahren, sich über den alten Mausling warf und ihn erwürgte. Glorreicher Tod! Dieser Held starb auf dem Feld der Ähren, will heißen der Kornähren oder ihres Inhalts; er wurde als Märtyrer kanonisiert. Der Spitzmäuserich aber nahm ihn und nagelte ihn mit beiden Ohren an das Speichertor, wie man im Reich der ›Hohen Pforte‹ zu tun pflegt, wo man um ein Haar meinen guten Panurg festgenagelt hätte.
Bei dem Todesschrei des Mauslings verschwanden entsetzt alle Ratten und Mäuse, das ganze Volk, in seinen Löchern. Die Nacht darauf aber versammelten sie sich im Keller zu einer großen Volksversammlung, um über die öffentlichen Angelegenheiten zu beraten, wobei nach der Lex papyria unter andern auch die legitimen Ehefrauen Sitz und Stimme hatten. Hier wollten nun die Ratten den Mäusen vorangehen, und der Streit um den Vortritt hätte fast das ganze Vorhaben zunichte gemacht. Da bot ein dicker Ratterich einem zierlichen Mäuschen seinen Arm, diesem Beispiele folgten die übrigen, und bald saßen sie also in gemischter Reihe im Kreis, Herr Rattemann mit Frau Mausin, jeder auf seinem Hintern, den Schwanz hochgestellt, die Nase in der Luft, die feinen Schnurrbärtchen zitternd vor Aufregung, die kleinen Äuglein funkelnd wie schwarze Diamanten.
Dann begannen die Verhandlungen. Sie liefen bald in ein wirres Geschimpf und Gescheite aus, kurz, es ging zu wie auf einem ökumenischen Konzil. Die einen sagten ja, die andern sagten nein; einer Katze, die in der Nähe vorüberkam, wurde es angst und bang. War das ein Stimmengewirr mit: zwiwiwi! bu bu bu!, mit: nak nak! zwiwiwü, mit: zrr zrr zrr zrr!, mit: ui ui uü, mit: za za zazazaa!, mit: fui, fui, zwiwi zwiwi zwiwi! Alles floß zusammen in ein einziges Tohuwabohu. Die Stadtväter auf dem Rathaus hätten es nicht schöner gekonnt.
Ein kleines Mäuschen, das nicht ganz volljährig war und keinen Zutritt zum Parlament hatte, kam während dieses Tumults an die Tür und streckte sein vorwitziges Schnütchen durch die Ritze, denn das kleine Ding war gar zu neugierig. Und ein Fellchen hatte es, so glänzend, als nur ein jungfräuliches Mäuschen haben kann. Wie nun der Lärm immer größer wurde, drückte es sich so ungestüm in den Spalt, daß es sich endlich mit seinem ganzen Körperchen hindurchzwängte und drin zu Boden gefallen wäre, wenn es sich nicht an einem Faßreif, der an der Türe hing, festgehalten hätte. Darauf saß es nun so zierlich, man hätte glauben können, es sei ein kleines Meisterwerk in einem gotischen Relief.
In diesem Augenblick geschah es, daß ein alter Ratterich mit einem frommen Augenaufschlag ein Stoßgebet zum Himmel sandte in dieser höchsten Not des gemeinen Wesens. Da gewahrte er plötzlich das zierliche, weiße, weichfellige Mäuschen und erklärte laut vor der ganzen Versammlung, das sei eine Erscheinung des Himmels, gesandt zum Heil des Volks und zur Rettung des Staats.
Sofort wandten sich alle Schnauzen erstaunt nach dieser Lieben Frauen von der göttlichen Hilfe, und eine große Stille trat ein. Zuletzt aber beschloß das Parlament trotz der Einsprache einiger Neidhammel das hübsche Weibsen dem Spitzmäuserich zum Geschenk zu machen. Im Triumph wurde sie vor die Versammlung geführt, und wenn ihr sie gesehen hättet, wie sie mit kleinen zierlichen Schrittchen einhertrippelte, mit Grazie ihren Hintern schwenkte, das feine Köpfchen ein wenig auf die Seite neigte, wie sie unnachahmlich mit den dünnen durchsichtigen Öhrchen wackelte und sich mit ihrem Rosenblättchen von Zunge den zarten Flaum ihres Schnütchens leckte, wenn ihr sie gesehen hättet, ihr würdet euch nicht verwundern, daß die alten, dickbäuchigen, runzelgesichtigen,
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