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Die dreißig tolldreisten Geschichten - 2 (German Edition)

Die dreißig tolldreisten Geschichten - 2 (German Edition)

Titel: Die dreißig tolldreisten Geschichten - 2 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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warnenden Gewissens alle Treueschwüre gegen den guten alten Gargantua.
    Die schlaue Maus merkte bald, daß er ihr nichts mehr versagen könne, und in einer schönen Nacht, als sie wieder einmal andres zusammen taten als Paternoster beten, erinnerte sich das gute Kind an seinen armen Vater daheim, den ein Körnlein von ihrem Überfluß glücklich machen konnte, und sie drohte dem Spitzmäuserich, ihn zu verlassen und wegzugehen aus seinem Palast, wenn er ihr nicht erlauben wolle, ihre kindliche Pflicht gegen ihren Vater zu erfüllen. Ein klein wenig leistete der Statthalter Widerstand, aber nicht lange, sondern lieferte ihr ein Patent aus mit dem großen königlichen Siegel in grünem Wachs und mit hochroten seidenen Schnüren, kraft dessen dem Vater des Weibsens das Privilegium zugestanden wurde, in dem gargantuanischen Palast frei aus und ein zu gehen und seine tugendhafte Tochter zu sehen und ans Herz zu drücken, wann es ihm beliebte, auch von allem zu essen, wonach ihm das Herz stand. Doch sollte er seine Mahlzeit in der Küche halten.

     
    Erschien also im Schloß ein ehrwürdiger Greis mit weißem Schwanz, ein fünfundzwanzig Unzen schwerer Ratterich, gravitätisch wie ein Kanzler von Frankreich, mit wackligem Kopf, begleitet von einem Stücker zwanzig Neffen, ein jeder dünn wie eine Säge, die alle dem Spitzmäuserich ihre Aufwartung und in wohlgesetzten Reden und Argumentationen begreiflich machten, daß er keine treueren und ergebeneren Diener finden könne als sie, seine Anverwandten, Blutsverwandten, Vettern und Schwäger. Darum möge er seine drückendsten Lasten auf ihre jungen Schultern abladen, sie wollten Ordnung in die Verwaltung bringen, alles aufs sorgfältigste notieren, registrieren und etikettieren, gute Buchhaltung führen, also daß Gargantua, wenn er einmal eine Visitation halten werde, mit dem Stand der Finanzen, Ersparnisse und Vorräte zufriedener sein solle als je.
    Ihr Gründe schienen durchaus einleuchtend. Dennoch war es dem armen Spitzmäuserich nicht ganz wohl bei der Sache, und sein Gewissen warnte ihn, denn das war nicht nur ein spitzmausiges, sondern auch ein spitzfindiges Gewissen. Und nicht umsonst fürchtete er seinen Herrn, der Macht über ihn hatte. Er verlor seine gute Laune und wurde düster und sorgenvoll; das bemerkte eines Morgens, als sie sich miteinander vergnügten, die Dame Maus, die um diese Zeit schwanger war, und beschloß bei sich, durch eine sorbonnistische Konsultation und das Befragen einer hohen theologischen Fakultät seine Zweifel zu heben und sein Gewissen zu beruhigen.
    War da ein gewisser Herr Maultasch, der als Einsiedler in einem Käse lebte, der Abstinenz wegen, ein alter und hochangesehener Beichtvater im Land der Ratzen und Mäuse, ein fettes, wohlgemästetes Mönchlein mit einem lachenden Gesicht über der schwarzen Kutte, mit einer winzigen Tonsur auf dem Haupt, die ihm eine Katze beigebracht, der er eines Tages in die Krallen geraten. War ein wahrhaft ehrwürdiger Ratterich, ein Ratterich im geistlichen Gewand, der sich auf die höchsten Autoritäten der Wissenschaft berufen konnte, der die Dekretalien und Klementinischen Gesetze Paragraphos für Paragraphos auswendig wußte, vielmehr er hatte sie inwendig, weil er an allen diesen Büchern schon genagt, papierenen und pergamentenen, und viele davon ganz aufgefressen hatte.
    Sein Ruf in den hohen Wissenschaften, verbunden mit der tiefsten christlichen Demut, und besonders sein heiliges Einsiedlerleben in der Käsehöhle hatten ihm eine große Schar Jünger gewonnen, und wo er ging und stand, folgte ihm ein Haufen schwarzer Ratteriche nebst zugehörigen hübschen Mäuschen, denn die kanonischen Gesetze des Konzils von Ratzenburg waren damals noch nicht in Kraft getreten, also daß es jedem Kuttenmanne freistand, seine Konkubine offen mit sich herumzuführen. Dieser heilige Mann nebst seinem präbendierten und benifizierten Anhang war der Dame des Statthalters sehr ergeben, die die ehrwürdige Gesellschaft eiligst herbeirufen ließ. In feierlichem Aufzug, in zwei Reihen geordnet, so daß es aussah, als ob die ganze Pariser Universität in Prozession nach dem Münster zöge, erschienen sie vor dem Statthalter. Ihre Nasen schnüffelten links und rechts nach den aufgehäuften Vorräten.
    Nachdem der Zeremonienmeister einem jeden seinen Platz angewiesen, nahm ihr Meister und Oberratterich, sozusagen Kardinalratterich, das Wort und hielt im schönsten Rattenlatein oder radodatischen Latein eine

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