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Die dreißig tolldreisten Geschichten - 2 (German Edition)

Die dreißig tolldreisten Geschichten - 2 (German Edition)

Titel: Die dreißig tolldreisten Geschichten - 2 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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Spitzmäuseriche, die als Wappen einen roten Balken im blauen Schilde führen. Und was für ein Prachtkerl das war! Er trug den schönsten Schwanz seiner Familie und spreizte und spiegelte sich in der Sonne als ein echter edler Spitzmäuserich von Gottes Gnaden. Man sah es ihm an, wie er stolz darauf war, seine Ahnenreihe bis auf die Sintflut zurückverfolgen zu können in ununterbrochenen Geschlechtsregistern, von Fall zu Fall, gestützt auf Brief und Siegel und Parlamentsakten, wie denn ein Protokoll ausdrücklich und unwiderleglich bezeugte, daß bereits ein Spitzmäuserich mit dem Patriarchen Noah in die Arche gegangen ist ...«

     
    Hier lüpfte Meister Algofripas ein wenig seine Mütze, und in salbungsvollem Predigerton fuhr er fort:
    »Noah, meine Herren, gemeint ist jener Noah, der die Rebe gepflanzt hat und zuerst das Glück hatte, sich im Wein zu berauschen. Denn es steht fest und sicher, daß ein Spitzmäuserich auf dem Schiffe war, aus dem wir alle hervorgegangen sind. Aber die Menschen haben sich untereinander vermischt und ihre Rasse verunreinigt. Nicht so die Spitzmäuseriche. Sie sind stolzer auf ihr Wappen als alle andern Tiere, sie würden niemals einen Hamster in ihre Familie aufnehmen, und wenn er auch alle Reichtümer der Welt in seinem Bau zusammengetragen hätte. Dieser echt edelmännische Geist gefiel dem guten Gargantua. Und kurzerhand übertrug er dem Spitzmäuserich die Statthalterschaft auf seinen Speichern mit den ausgedehntesten Rechten, Privilegien und Machtvollkommenheiten, hoher und niederer Gerichtsbarkeit, Committimus, Missi Dominici, mit Gewalt über den Klerus und dem Oberbefehl im Heere, kurz, mit allem, was sich nur denken läßt. Der Spitzmäuserich versprach, sein Amt getreu zu verwalten und seine Pflicht zu tun, wie man von einem feudalen Spitzmäuserich erwarten kann; er stellte nur die eine Bedingung, auf dem Kornhaufen wohnen zu dürfen, was der gute Gargantua gerecht und billig fand.

     
    Und also hättet ihr den Spitzmäuserich sehen müssen in seinem neuen Palast: wie er Sprünge machte, wie er glücklich war, glücklich wie ein Fürst, der glücklich ist; wie er stolz seine Länder und Reiche inspizierte, seine Schinkenprovinzen, seine Latwergengrafschaften, seine Domänen von Mustarden, seine Traubenherzogtümer, seine Blutwurstfürstentümer, seine Baronate jeder Art; wie er auf Bergen von Weizen thronte und mit seinem Schwanz die Körner peitschte. Wo der Spitzmäuserich erschien, standen ehrfurchtsvoll und begrüßten ihn stumm alle Töpfe. Und wo zwei goldene Becher beieinanderstanden oder auch ein silberner Humpen bei einem goldenen Becher, stießen sie aneinander und machten ein Geläute wie mit Kirchenglocken, wenn der Fürst einzieht, dessen der Spitzmäuserich sehr zufrieden war und sich freundlich bedankte mit einem leisen Nicken des Kopfes nach rechts und nach links.

     
    Auf seinem Kornhaufen setzte er sich gern in einen Streifen Sonne, der durch die Dachluke fiel. Da leuchtete dann sein seidenweiches glattes Fellchen in einem bläulichen Schimmer, und er sah ganz und gar aus wie ein nordischer König in seinem Zobelpelz. Oft auch vergnügte er sich mit Springen und Tanzen, mit Kapriolen und Purzelbäumen, dann bekam er guten Appetit, ließ sich ein, zwei Weizenkörner schmecken, die er mit Behagen knusperte, und saß dann wieder zuoberst auf dem Haufen wie ein König auf dem Thron vor dem versammelten Hofe und mit dem Bewußtsein, der tapferste und treueste Spitzmäuserich der Welt zu sein.

     
    Erschienen da an ihren gewohnten Schlupflöchern und sonstigen Vorposten unheimliche nachtwandlerische Völker, lichtscheues Gesindel, das auf vier Pfoten läuft, an Wänden und Balken klettert, in versteckten Höhlen haust, kurz, das zahlreiche Geschlecht der Mäuse, Ratzen, Hamster und andrer Nager, die alles beknuppern und beschnuppern, bebeißen und bescheißen und der Schreck und die Landplage aller guten Hausfrauen sind. Als sie den Spitzmäuserich erblickten, schreckten sie zurück und drückten sich hinter die Schwelle ihrer Wohnungen, nur ängstlich hinblinzelnd nach dem neuen unerwarteten Feind. Ein alter grauer Mausling aber aus dem wispernden, knuspernden Geschlecht der Mauselinge, ein frecher und respektwidriger Geselle, streckte trotz aller Gefahr seinen Kopf ein wenig aus dem Fenster und besah sich fast furchtlos den Spitzmäuserich, der auf der Höhe des Weizenbergs mit aufgerichtetem Schwanz auf seinem Hintern saß, kam aber bald zu der

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