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Die dreißig tolldreisten Geschichten - 2 (German Edition)

Die dreißig tolldreisten Geschichten - 2 (German Edition)

Titel: Die dreißig tolldreisten Geschichten - 2 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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Köpfe zu waschen und ihnen, figürlich versteht sich, auf die hohlen Schädel herunterzupissen wie Gargantua auf die der guten Pariser von den Türmen von Notre-Dame.
    »Wenn Eure Majestät guter Laune ist«, sagte er, »könnte ich Höchstderselben wohl mit einer kleinen Predigt dienen, die ich mir längst zu gelegentlichem Gebrauch hinters Ohr geschrieben habe und wobei es nichts zu bedeuten haben soll, daß mein Sermon auf eine mehr redliche als hofrätliche Parabel hinausläuft.«
    »Meine Herren«, antwortete drauf der König, »Meister François hat das Wort. Und da es sich um unser Seelenheil handelt, so haltet euch ruhig und spitzt mir die Ohren. Der gute Meister steckt voll von spaßigen Evangelien.«
    »Majestät«, erwiderte Meister Rabelais, »ich fange an.«
    Das Geplauder der Höflinge verstummte, sie traten in einem geschmeidigen Halbkreis um den Pfarrherrn in partibus, den Vater des Pantagruel, der ihnen in Worten, deren Poesie und Beredsamkeit kein Mensch auf Erden zu wiederholen vermöchte, die folgende Historie zum besten gab. Sie ist uns nur mündlich überliefert worden, und so möge es dem Autor verstattet sein, sie hier in seiner Weise nachzuerzählen.

     
    »In seinen alten Tagen war Gargantua ein wenig seltsam geworden, worüber die Leute seines Hauses sich sehr verwunderten, ohne es ihm aber übelzunehmen, denn er war rund siebenhundertundvierzig Jahre alt, wenn auch der heilige Klemens von Alexandrien in seinen ›Stromates‹ zu beweisen sucht, daß er zu dieser Zeit einen Vierteltag jünger war, was uns aber wenig kümmert. Wie nun der väterliche Herr so sah, daß man ein wenig allzusehr in Saus und Braus lebte in seinem Hause und seine Gäste sich nicht nur satt aßen, sondern auch noch obendrein die Taschen füllten, bekam er es mit der Angst, es könnte ihm zuletzt am Nötigsten fehlen. Und er beschloß, eine vollkommnere Verwaltung seiner Domänen einzurichten. Das war weise und vernünftig gedacht. Er ließ also auf einem Speicher des gargantualischen Schlosses seine besten Vorräte zusammentragen, einen großen Haufen roter holländischer Käse, zwanzig gewaltige Töpfe eingemachter Mustarde, ganze Kübel voll Zwetschgenmus, Latwergen und Tourainer Pflaumen, große Fässer eingesalzener Butter, ganze Kisten voll Hasenpasteten, in Fett gelegte Enten, im Schmalz vergrabene Schweinsfüße und Gänsekeulen, dreihundertundsiebenundneunzigtausend Büchsen voll grüner Erbsen und Bohnen, siebenhundertunddreiundfünfzigtausend Gläser des feinsten Orleaner Quittengelees, viele Fässer getrockneter Lampreten, marinierter Heringe, geräucherter Aale und eingepökelter Seezungen, ganze Kufen eingetrockneter Weintrauben, endlich Eingezuckertes für die Gargamella an den Feiertagen und tausend andre gute Sachen, die ins einzelne aufgezählt sind in den ripuarischen Gesetzen und auf gewissen Seiten der königlichen Kapitularien, Edikte, Pragmatiken, Ordonnanzen und Institutionen jener Zeit.
    Klemmte dann der Gevatter sein Binokel auf die Nase und seine Nase in das Binokel und ging aus, einen fliegenden Drachen oder ein Einhorn zu suchen, die ihm seine kostbaren Schätze bewachen könnten. Also suchend und in Sorgen durchwanderte er seine Gärten. Er wollte keinen geschopften Kranich, mit dem schon die Ägyptianer, wie aus den Hieroglyphen hervorgeht, schlechte Erfahrungen gemacht haben. Mit einer Handbewegung scheuchte er die Kohorten der Kobolde und Alraunen hinweg, weil er wußte, daß diese schon den Kaisern und auch den alten Römern zuwider waren, wie ein gewisser Fürwitz namens Tacitus überliefert hat. Auch das Geschlecht der Pikrokoller verwarf er. Ebenso die Legionen der Druden, Wichtelmänner, Nachtmahre, Zwerggeschlechter der Erdhöhlen und ähnliches Gesindel, die wie Hundszahn wucherten und alles Gegründ und Geschlucht erfüllten mit ihrem Gewimmel und Gewusel, also wie es in der Reisebeschreibung des Sohnes Pantagruel zu lesen war. Er ging im Geist alle Historien, Genealogien und Geschlechtsregister seines Reichs durch, aber zu keiner einzigen gallischen Rasse konnte er ein Vertrauen fassen. Er hätte sich am liebsten eine neue geschaffen, unbekannt selbst dem Schöpfer aller Dinge. Je länger er erwog, um so unmöglicher schien es ihm, eine Wahl zu treffen, und er fürchtete schon, seine kostbaren Schätze und Reichtümer dem Verderben preisgeben zu müssen. In dieser sorgenvollen Lage begegnete er einem kleinen hübschen Spitzmäuserich aus dem alten und edlen Geschlecht der

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