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Die dreißig tolldreisten Geschichten - 2 (German Edition)

Die dreißig tolldreisten Geschichten - 2 (German Edition)

Titel: Die dreißig tolldreisten Geschichten - 2 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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nachgewiesenen Missetaten verhört zu werden. Und wurde durch Uns, den Richter, der Angeklagten erklärt, daß es nicht in der Macht eines natürlichen Weibs liege, welches auch ihre Fähigkeiten und ihr Beruf seien, solch vollkommene Bezauberungen und Behexungen zu bewirken, die sie selber durch ihre eignen Antworten auf Unsre Fragen zugegeben, und so viel Menschen in den Tod zu treiben, außer unter dem Beistand eines Dämons oder Teufels, der in ihrem Körper Wohnung genommen und dem sie durch Vertrag ihre Seele verkauft hat; also daß es vollkommen erwiesen sei, daß unter ihrer, der Angeklagten, Maske und Gestalt ein Teufel sein Wesen treibe, der all das Übel angestiftet. Werde demnach die Angeklagte hiermit aufgefordert zu offenbaren: in welchem Alter sie die Verbindung mit besagtem Dämon eingegangen; welche die Bedingungen gewesen, unter denen sie ihm ihre Seele verkauft; wie auch über ihre gemeinsamen Missetaten die genaue Wahrheit auszusagen.

     
    Die Angeklagte hat hierauf erwidert, daß sie Uns, dem Richter, antworten wolle, wie wenn sie vor Gott stünde, der unser aller Richter ist. Hat sodann die Sprecherin behauptet, niemals besagten Teufel gesehen oder gehört, noch auch ihn zu sehen oder mit ihm zu sprechen je gewünscht zu haben. Auch das Handwerk einer öffentlichen Hure ausgeübt zu haben, bestreitet die Angeklagte, da sie sich den genannten Freuden und Wollüsten der Liebe nur des Vergnügens wegen hingegeben, das Gott in diese Dinge gelegt hat, und mehr aus dem Wunsch, gut und sanft gegen ihren geliebten Herrn zu sein als aus einem sie beständig drängenden Bedürfnis. Auch bitte sie Uns zu bedenken, daß sie, eine arme Afrikanerin, dergestalt von Gott mit heißem Blut und leichtem Auffassungsvermögen in Sachen der Liebe begabt worden sei, daß oft schon beim Anblick eines Mannes ihr Herz in hellen Aufruhr gerate. Sowie aber ein Verliebter sie an irgendeiner Stelle des Körpers berührt, sie streichelnd mit seiner Hand, sei sie ganz schwach geworden und ohne Kraft des Widerstands ihm verfallen. Allein schon durch eine solche Berührung seien in ihr alle Seligkeiten der Liebe zum Leben erweckt worden und hätten ein solches Feuer in ihren Adern entzündet, daß sie sich vom Kopf bis zu den Füßen wie eine einzige große Flamme gefühlt habe. Und seit dem Tage, wo Dom Marsilis sie die Freuden der Liebe gelehrt, habe sie keinen andern Gedanken mehr gehegt und sei ihr zum klaren Bewußtsein gekommen, wie ihr Wesen recht eigentlich zur Liebe geschaffen wäre und wie sie ohne Genuß des Mannes in jenem Kloster, in das die Menschen sie eingesperrt hatten, hätte elend dahinwelken und sterben müssen. Dagegen sei ihr (wie sie zur Bekräftigung dessen mit großer Freudigkeit versicherte) seit ihrer Flucht aus dem Kloster nicht Tag noch Stunde mehr in Traurigkeit hingegangen. Nicht ein Hauch von Melancholie habe sie mehr angeflogen; freudigen Herzens habe sie Gottes Willen erfüllt, der sie sichtbar entschädigen wollte für die im Kloster verlorene Zeit.
    Hierauf wurde von Uns, Hieronymus Cornill, dem genannten Dämon erwidert, daß diese Rede eine offenkundige Blasphemie und Gotteslästerung sei, da wir alle zu Gottes Ruhme geschaffen sind, um ihn zu ehren und zu preisen, um seine heiligen Vorschriften vor Augen zu haben und ein heiliges Leben zu führen eingedenk unsres zukünftigen Heils; nicht aber dazu, das ganze Leben hindurch immerfort nur das zu tun, was selbst die Tiere nur zu einer gewissen Zeit des Jahres bedürfen. Worauf besagte Schwester Ciaire geantwortet hat, daß sie, die Sprecherin, Gott alle Ehre erwiesen habe, daß sie in allen Ländern die Armen und Kranken gepflegt, sie mit Kleidern und Almosen beschenkt, daß sie geweint habe beim Anblick ihres Elends und daß sie hoffe, es werden am Tage des Jüngsten Gerichts ihre barmherzigen Werke auch da sein und Gott um Gnade für sie anflehen. Und wenn sie nicht gefürchtet hätte, den geistlichen Herren vom Kapitel zu mißfallen, würde es ihr eine Freude gewesen sein, sich von all ihren Reichtümern zu entblößen, um eine Stiftung zum Heil ihrer Seele zu machen, womit die Kathedrale von St-Maurice vollendet werden könnte. Wenn ihr dieser Lieblingswunsch hätte erfüllt werden können, so würde sie an ihren Liebesnächten doppelte Freude gefunden haben, da jede von ihnen einen Stein bedeutet hätte zur Errichtung des heiligen Baus. Alle ihre Liebhaber würden zu diesem Zweck und zum ewigen Heil ihrer Seele bereit gewesen sein,

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