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Die dreißig tolldreisten Geschichten - 2 (German Edition)

Die dreißig tolldreisten Geschichten - 2 (German Edition)

Titel: Die dreißig tolldreisten Geschichten - 2 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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freudigen Herzens ihr ganzes Vermögen zu opfern. Hierauf wurde von Uns, dem Richter, besagter Hexe zur Antwort gegeben, daß sie sich dadurch nicht von dem Verdachte, mit dem Satan im Bunde zu stehen, reinigen könne, da ungeachtet ihrer vielen Liebesnächte nie ein Kind aus ihrem Leibe hervorgegangen, was allein schon beweise, daß dieser Leib von einem Teufel bewohnt sein müsse. Zum Überfluß wisse jedermann, daß es außer den heiligen Aposteln nur dem Teufel Astaroth gegeben sei, in allen Sprachen der Welt zu reden; sie, die Angeklagte, aber wisse in der Zunge jeden Landes zu sprechen, was wiederum beweise, daß sie von einem Dämon besessen sei.
    Hierauf hat die Angeklagte erwidert, daß sie, was ihre Bewandertheit in Sprachen betreffe, vom Griechischen nicht mehr wisse als »Kyrie eleison«, wovon sie oft im Gebet Gebrauch mache, und vom Lateinischen nicht mehr als »Amen«, als welches sie hiermit an Gott richte in der festen Hoffnung auf ihre Lossprechung und Befreiung. Und hat darauf die Angeklagte hinzugefügt: Daß sie kein Kind empfangen könne, sei ihr größter Schmerz, den sie aber in Ergebung in Gottes Willen ertrage, weil sie ja auch gewiß mehr Lust bei der Sache habe als die guten Hausmütter, denen Gott dafür Kinder schenkt. Und gewiß liege darin eine von Gott gewollte Ausgleichung, weil die Welt verderben müßte, wenn es allzuviel Glück in ihr gäbe.
    Indem Wir dies alles und tausend andere Gründe angehört, die alle nur ein Beweis dafür sind, daß der Körper der Schwester Claire wirklich von einem Teufel besessen sein muß, da es die Eigenschaft Luzifers ist, solche häretische Gründe der Verteidigung zu finden, die der Wahrheit auf ein Haar ähnlich sehen: haben Wir angeordnet, daß die Angeklagte in Unsrer Gegenwart der Tortur unterzogen werde, um den ihr innewohnenden Dämon durch Schmerzen zu bezwingen und unter die Autorität der Kirche zu beugen.
    Zu diesem Zwecke haben Wir den Meister Medicus des Kapitels, Herrn François de Hangest, zugezogen und ihn durch eine weiter unten beschriebene Vollmacht beauftragt, die weibliche Natur und Beschaffenheit (virtutes vulvae) der Angeklagten zu begutachten, um unsre heilige Religion darüber aufzuklären, mit welchen Kunstgriffen sich der Teufel die Schlinge zubereitet, in welche sich so viele Seelen verfangen haben.
    Hat die Angeklagte sehr geweint und zum voraus gestöhnt und mit verzweifelten Bitten und Schreien den Widerruf Unsres Befehls zur Folterung zu erreichen gesucht. Und hat sich trotz ihrer Ketten Uns zu Füßen geworfen und Uns angefleht, ihr diese Tortur zu ersparen, da ihre Glieder so zart und schwach seien, daß sie dabei zerbrechen würden wie Glas; sie wolle sich mit all ihrem Gut vom Kapitel loskaufen und für immer das Land verlassen.
    Wurde dieselbe des weitern von Uns aufgefordert, freiwillig zu bekennen, daß sie immer ein Dämon gewesen von der Natur der Sukkubi, welche als weibliche Teufel dazu ausersehen sind, die Christenmenschen durch die Verblendungen und Bezauberungen der Liebe zu verderben, worauf die Angeklagte entgegnet hat, daß dieses zu bekennen eine ganz abscheuliche Lüge sein würde, da sie sich immer als ein natürliches Weib gefühlt habe.
    Hierauf, nachdem ihr durch den Folterknecht die Ketten abgenommen worden, hat die Angeklagte sich ihrer Kleider entledigt und hat durch die brennende Pracht ihres Körpers, der in Wahrheit eine supernatürliche Coertionem auf den Mann ausübt, in teuflischer Bosheit und bewußter Absicht Uns den Geist verdunkelt und ganz und gar den Verstand verwirrt. Meister Tournebouche hat, bewältigt von der Natur, seine Feder niedergelegt und hat sich mit der Begründung zurückgezogen, daß es ihm unmöglich sei, dieser Sache ferner beizuwohnen, da er fühle, wie der Teufel über ihn Gewalt bekomme und ihm mit unerhörten Versuchungen das Gehirn verwirre.
    Hier schließt das zweite Verhör, und da durch den Boten und Lader des Gerichts überbracht worden ist, daß Meister François de Hangest über Land geritten, wurde die Folterung vertagt und auf den anderen Morgen für die Stunde nach der Elfuhrmesse anberaumt.
    Diese letzten Zeilen sind von Uns, Hieronymus Cornill, in Abwesenheit von Meister Guillaume Tournebouche dem Protokoll hinzugefügt worden, und also haben Wir unterzeichnet:
    Hieronymus Cornill
geistlicher Straf-Oberrichter.
    Beschluß
    Heute, am Vierzehnten des Monats Februar, sind vor Uns, Hieronymus Cornill, erschienen: die Meister Jehan Ribou, Antoine Jahan,

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