Die dreißig tolldreisten Geschichten - 3 (German Edition)
getränkte Liebe, diese Zartheit des Gewissens bei aller Schuld, diese Schwäche und zugleich diese Kraft würden, wie die schlechten Schriftsteller sich ausdrücken, ein Tigerherz erweicht haben. Wundert euch also nicht, daß Jehan bei seiner Knappenehre schwur, ihr zu gehorchen und alles zu tun zu ihrer Rettung in dieser und in der andern Welt.
Als sie dieses Vertrauen und das redliche Herz ihres Geliebten sah, warf sich Berthe zu seinen Füßen und bedeckte sie mit Küssen.
»Oh, mein Freund«, rief sie aus, »den ich lieben muß, trotzdem es eine Todsünde ist, du mein einziger, der du so gut, so barmherzig mit deiner armen Berthe bist; wenn du willst, daß sie immer an dich denken soll wie jetzt und den Strom ihrer Tränen, dessen Quelle so süß und lieb ist, eindämmen soll (hier ließ sie sich, um ihn ganz zu überzeugen, einen Kuß von ihm rauben), mein Geliebter, wenn du willst, daß die Erinnerung meiner Himmelsfreuden mir nicht auf dem Gewissen lasten, sondern immer wie Gesang der Engel im Gedächtnis bleiben und mir ein Trost sein möge in trüben Tagen: so tue, was die Heilige Jungfrau mir befohlen hat. Im Traum habe ich sie angefleht, in meine Verwirrung und Verirrung mit ihrer himmlischen Klarheit zu leuchten. Ich flehte sie an, mir zu erscheinen, und sie hat mich Unwürdige ihres Anblicks gewürdigt. Ich zeigte ihr die furchtbare Qual meines Herzens, wie mir bange ist für das Kind, das sich schon in mir bewegt, und wie ich erzittre für dessen wahren Vater, der, der Rache meines Gemahls ausgeliefert, eines gewaltsamen Todes sterben muß, wenn die alte Fallotte wahr prophezeit hat. Die Heilige Jungfrau lächelte. Die Kirche gewährt uns die Verzeihung unsrer Sünden, sprach sie, wenn wir ihren Befehlen gehorchen, wenn wir freiwillig unsern Teil der Strafe schon hier auf Erden abbüßen und nicht freventlich abwarten, bis der Zorn des Himmels über uns hereinbricht. Dann zeigte sie mit ihrem Finger auf einen jungen Mann, der ganz dir glich und so gekleidet war, wie du es sein solltest und wie du dich bald kleiden wirst, wenn du deine Berthe mit einer ewigen Liebe liebst.«
Da versicherte ihr Jehan nochmals, ihr in allen Stücken gehorchen zu wollen, er hob sie auf seine Knie und küßte sie innig. Zitternd vor Angst, eine abschlägige Antwort zu bekommen, gestand ihm Berthe, daß das Gewand, in das er sich kleiden müsse, eine Mönchskutte sei und daß er sich in das Kloster von Marmoustiers in der Nähe der Stadt Tours zurückziehen solle; dann wolle sie ihm vorher noch eine letzte Liebesnacht gewähren und danach weder ihm noch einem andern Manne auf der Welt je wieder gehören. Jedes Jahr einmal aber solle er auf einen Tag zu ihr kommen, um sein Kind zu sehen. Das werde seine Belohnung sein.
Jehan, gebunden durch seinen Schwur, beteuerte ohne Zögern, daß er ihr zuliebe Mönch werden und damit das Mittel ergreifen wolle, ihr treu zu bleiben und keine andern Freuden der Liebe mehr zu genießen nach ihrer seligen Verbindung, in deren Erinnerung er leben und sterben werde.
»So ungeheuer groß auch meine Schuld ist«, rief Berthe, als sie diese Worte hörte, »und was mir auch von Gott vorbehalten sein mag zu erdulden, diese Stunde wird mir helfen, das Schwerste zu ertragen; denn nun glaube ich sicher, daß ich einem Engel, nicht einem Menschen angehört habe.«
Und so warfen sie sich aufs Lager, wo ihre Liebe zuerst erblüht war, um all den süßen Freuden ein letztes und erhabenes Lebewohl zu sagen. Da schien es, daß der Gott der Liebe an diesem letzten Opfer sein besonderes Wohlgefallen fand. Er ließ die Opfernden untertauchen in die tiefsten Abgründe der Ekstase, wie selten Weib und Mann sie auf Erden gekannt haben. Denn das Eigentümliche der wahren Liebe besteht in einer solchen Gegenseitigkeit, die bewirkt, daß jeder Teil um so mehr empfangt, je mehr er gibt, und die Wirkungen sich in geometrischen Proportionen bis ins Unendliche steigern. Aber das kann man Leuten mit engem Verstand nur begreiflich machen unter dem Bild des Kaleidoskops, wo aus einer Figur tausende Figuren werden. Und so erstaunten die Liebenden selber über die Fülle von Verzückungen und den Reichtum und die Stärke der Zärtlichkeit, deren sie fähig waren, ohne sich zu erschöpfen. Sie hätten gewünscht, daß diese Nacht die letzte ihres Lebens wäre; und als eine süße Ermattung sich allmählich über ihre Sinne lagerte, glaubten sie, daß es ihnen bestimmt sei, in einem tödlichen Liebeskuß zu vergehen
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