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Die dreißig tolldreisten Geschichten - 3 (German Edition)

Die dreißig tolldreisten Geschichten - 3 (German Edition)

Titel: Die dreißig tolldreisten Geschichten - 3 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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einmal in einer unsrer Historien angerufen wurde, so glich sein Leben auf ein Haar dem Leben der größten Weisen des Altertums.
    Zweiundachtzig Jahre war er so nach und nach alt geworden, ohne daß er einen einzigen Tag ohne Heller gewesen wäre, und noch immer leuchtete sein Gesicht in der Farbe, die man sich vorstellen kann. Dabei war er überzeugt, daß man ihn längst eingescharrt haben würde, wenn er dazu verdammt gewesen wäre, unter dem Fluch des Reichtums zu leben, und es ist wohl möglich, daß er recht hatte.

     
    In seiner grünen Jugend hatte er für einen großen Schwerenöter gegolten, will sagen in puncto puncti, und es wurde behauptet, daß in diesem wie in andern Punkten das Gevögel des Feldes, die Spatzen, Turteltauben und andre, seine Lehrmeister waren. Zu jeder Stunde war er aufgelegt, die Weiber niederzulegen; denn da er nie etwas tat, war er immer bereit zu tun. Die Waschfrauen des Landes pflegten zu sagen: wie sie auch die Damen einseiften, der Tryballot verstünde es doch noch besser. Und diese seine Facultas occulta, wie man sagte, war der heimliche Grund seiner großen Beliebtheit weit herum im Lande. Man erzählt sich, daß ihn die Schloßdame von Caumont eines Tages auf ihr Schloß rufen ließ, um über die genannte Facultas der Wahrheit auf den Grund zu kommen; acht Tage soll sie ihn bei sich eingeschlossen haben, um ihm das leidige Betteln abzugewöhnen, aber aus Furcht, im Wohlleben zu verkommen, sei er ihr zuletzt auf und davon gegangen.
    Wie er aber nun älter und älter wurde, sah sich dieser seltene Philosoph, der seine Philosophie bei den Vögeln studiert hatte, immer mehr verschmäht, wozu doch, wie er nur allzu gut wußte, gar kein Grund vorlag. Hier aber ist die erste Ursache und der Ausgangspunkt des Prozesses zu suchen, der in Rouen zu seiner Zeit so großes Aufsehen erregt hat und von dem nun endlich die Rede sein soll.
    Der Vagabund stand also in seinem zweiundachtzigsten Lebensjahr und sah sich seit ungefähr sieben Monaten zur gänzlichen Enthaltsamkeit verurteilt, da er kein Weib mehr finden konnte, das etwas von ihm wissen wollte. Er sagte später vor dem Richter, daß ihm eine so schreckliche Sache in seinem ganzen ehrenhaften Leben nicht vorgekommen war. In diesem qualvollen Zustand gewahrte er eines schönen Tages im Monat Mai auf dem Feld ein junges Mädchen, das bei seiner Herde eingeschlafen war, wie die Landleute auf dem Feld zur Mittagszeit bei großer Hitze wohl zu tun pflegen. Das arme Ding, zufällig eine Jungfrau, lag also da hinter einem Busch, das Gesicht im kühlen Gras, während sein Vieh wiederkäute, und erwachte plötzlich über der Tat des Alten, der ihr das geraubt hatte, was ein Mädchen nur einmal verlieren kann. Als sie sich den Schaden besah, den ihr der Vagabund ohne ihre Einwilligung und ohne ihr damit ein Vergnügen zu machen, zugefügt hatte, erhob sie ein großes Geschrei, also daß von weither die Leute zusammenliefen und von ihr zu Zeugen ihres Zustands aufgerufen wurden, der kein andrer war als derjenige einer jungfräulichen Braut nach der Hochzeitsnacht. Sie flennte und jammerte immerfort und sagte, der alte Affe hätte doch lieber ihre Mutter notzüchtigen sollen, die würde jedenfalls nichts dagegen gehabt haben. Auf die Vorwürfe der Bauern, die den Vagabunden mit ihren Gabeln und Karsten bedrohten, gab er zur Antwort, daß er im Drange der Not gehandelt, worauf die Leute mit Recht erwiderten, daß ein Mann sich sein Vergnügen suchen könnte, ohne eine Jungfrau zu schänden, als welches ein Fall sei, auf dem der Galgen steht. Und mit großem Geschrei brachten sie ihn nach den Gefängnissen von Rouen.
    Vor dem Profosen erzählte das Mädchen die Sache also: Sie sei in der Mittagshitze eingeschlafen, weil sie nichts andres zu tun gehabt habe; da sei ihr im Traum ihr Bräutigam vorgekommen, mit dem sie sich seit langem herumgestritten, weil er ihr das vorwegnehmen wollte, was sie ihm erst nach der Kopulation zu geben entschlossen war. Im Traum habe sie ihm nun das gezeigt, was er doch einmal kennenlernen mußte, um ihn zu überzeugen, daß alles mit ihr seine Richtigkeit habe und später nicht Zank und Mißhelligkeit entstehe. Trotz ihres Widerstands sei er dann weitergegangen, als sie ihm erlauben wollte, und da sie dabei mehr Schmerz als Lust empfunden, sei sie darüber erwacht und habe sich vergewaltigt gesehen von dem alten Vagabunden, der sich über sie geworfen wie ein Kapuziner über einen Schinken am Ende der Fasten.
    Der

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