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Die dreißig tolldreisten Geschichten - 3 (German Edition)

Die dreißig tolldreisten Geschichten - 3 (German Edition)

Titel: Die dreißig tolldreisten Geschichten - 3 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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schwache Bilder. In dieser höchsten Not, als er schon einen Fuß auf die Leiter setzte, erschien vor ihm jene Dame; er sah die zierlichen schimmernden Rundungen mit dem süßen Delta dazwischen, und der Anblick versetzte seinen Meister Iste in solche Aufwallung, daß der Leinenstoff seines engen Kittels eine plötzliche straffe Falte schlug.
    »He, Männer der Gerechtigkeit«, rief er, »kommt schnell und beaugenscheinigt, ich habe meine Begnadigung gewonnen; doch wie lang es der Kerl treibt, dafür kann ich nicht stehen.«
    Die Dame zeigte sich mit dieser Huldigung sehr zufrieden. Sie erklärte, das gehe über eine Vergewaltigung, und die Gerichtsbüttel, mit der Beaugenscheinigung beauftragt, glaubten nicht anders, als daß der Alte der leibhaftige Teufel sei; denn nie hatten sie in Büchern und Geschrift ein so aufrichtiges I gefunden, als ihnen hier entgegenstarrte. Wurde denn auch der Begnadigte im Triumph durch die Stadt zum Palast des Herzogs geführt, vor dem der Profos und andre die Richtigkeit der Tatsachen beglaubigten. In jenen Zeiten der Unwissenheit erregte diese kuriose Art der Rechtsprechung die größte Bewunderung, und einstimmig verlangte die Bevölkerung, daß dem seltenen Mann an der Stelle, wo er sich seine Begnadigung gewonnen, eine Statue errichtet werde, die ihn dergestalt verewige, wie ihn alles Volk beim Anblick jener tugendsamen und vornehmen Dame mit Staunen betrachtet hatte. Diese Statue war noch zu sehen zur Zeit, als die Stadt Rouen von den Engländern eingenommen wurde, und die zeitgenössischen Chronisten erzählen die Geschichte unter den wichtigsten Begebenheiten der Stadt und der Provinz.
    Als die gute Stadt Rouen beschloß, dem Alten so viel Dirnen zu liefern, als er haben wolle, und auch für sein sonstiges Auskommen reichlich zu sorgen, legte sich der Herzog ins Mittel, schenkte der Entjungferten ein Tausender Taler und verheiratete sie mit dem neugebackenen Volkshelden, der damit seinen alten Namen Tryballot verlor, wofür ihm der Herzog einen neuen gab und ihn zu einem Junker von Bonne-Chouse, Gutenhoden, erhob. Seine Frau aber gebar ihm nach neun Monaten einen wohlgebildeten Knaben, der mit zwei Zähnen zur Welt kam. Aus dieser Heirat erwuchs die edle Familie derer von Bonne-Chouse, die später, weil sie sich, aber mit Unrecht, ihres Namens schämten, von dem vielgeliebten König Ludwig dem Elften ein Patent auswirkten, das ihren ursprünglichen Namen in Gutenhuden umwandelte. Bei dieser Gelegenheit bemerkte König Ludwig den Herren von Bonne-Chouse, daß es in dem Staat der Herren von Venedig eine sehr berühmte Familie gebe, die den Namen Coglioni und drei H... in ihrem Wappen führe. Darauf erwiderten die Herren von Bonne-Chouse dem König, daß ihre Damen immer erröteten, wenn sie am Hof und in den Sälen der guten Gesellschaft mit diesem Namen genannt würden. »Sie sind nicht klug«, entgegnete der König lachend, »sie wollen ihren eignen Schaden. Mit dem Namen wird auch die Sache flötengehen.«
    Er gab ihnen dennoch das verlangte Patent. Seitdem lebt die Familie unter dem neuen Namen und hat sich über mehrere Provinzen des Königreichs ausgebreitet. Der erste Herr von Bonne-Chouse aber lebte noch siebenundzwanzig Jahre und bekam einen weiteren Sohn und zwei Töchter. Er war nur darüber unglücklich, daß er nun doch als ein Reicher enden mußte und nicht mehr von Haus zu Haus sein Brot betteln durfte.
    Daraus könnt ihr eine schönere Lehre ziehen und eine dickere Moral entnehmen als aus irgendeiner Geschichte, die ihr in eurem Leben lesen mögt, meine ›Dreißig Tolldreisten Geschichten‹ glorreichen Angedenkens natürlich ausgenommen. Nämlich die Wahrheit: daß ein Abenteuer dieses Kalibers niemals weichlichen und morschen Hofleuten oder andern reichen Prassern begegnet wäre, die mit übermäßigem Essen und Trinken ihr bestes Werkzeug frühzeitig dem Verfall überantworten und auf weichen Daunen schlafen, während der Herr von Bonne-Chouse die Erde zum Lager und einen Stein zum Kopfkissen hatte. Viele in seiner Lage würden, wie das Volk sagt, nachdem sie Kraut gegessen hatten, Dreck geschissen haben. Das mag vielleicht viele, die diese Geschichte lesen, dazu bewegen, ihr Leben von Grund aus zu ändern, um, wenn sie in die Jahre kommen, dem alten Tryballot nachzuahmen.

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