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Die dreißig tolldreisten Geschichten - 3 (German Edition)

Die dreißig tolldreisten Geschichten - 3 (German Edition)

Titel: Die dreißig tolldreisten Geschichten - 3 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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Fall machte ein solches Aufsehen in der Stadt Rouen, daß der Profos vor den Herzog gerufen wurde, der sich vergewissern wollte, was an der Sache Wahres sei. Auf die Aussage des Richters hin befahl er, daß ihm der alte Tryballot vorgeführt werde, und war sehr neugierig darauf, was der seltsame Greis zu seiner Verteidigung vorbringen möchte. Der Landstreicher erschien also vor dem Fürsten. Und in aller Unbefangenheit erklärte er: daß das Ungestüm seiner Natur, die ihn fortreiße wie einen Jüngling, allein an dem Unglück schuld sei; daß ihm die käuflichen Menscher nichts nützten, da er kein Geld habe; daß er auch bis auf dieses Jahr nie der Weiber ermangelt; daß er nun aber an die acht Monate gefastet, weil die ehrbaren Frauen, die ihm früher diese Mildtätigkeit erwiesen, sich von ihm abgekehrt hatten, seitdem seine Haare ergrauten, wie sehr auch die Liebe noch grüne: in seinem Herzen; daß er also wohl gezwungen sei, sich die Lust zu nehmen, wo er sie finde; daß ihm da der Teufel hinter dieser Bucheinhecke die Jungfrau in den Weg gelegt und so kitzlig entblößt habe, worüber er in seinem ausgehungerten Zustand alle Vernunft verloren; daß nicht er, sondern das Mädchen schuldig sei, da es den Jungfrauen nicht erlaubt wäre, vor den Vorübergehenden das so sorglos zu entblößen, wovon die Frau Venus Kallipygos ihren Namen habe; endlich, daß der Herzog gewiß aus eigner Erfahrung wisse, mit welcher Mühe zu solcher warmen Mittagsstunde ein Mann die Begierden an sich halte, als welche dann schwerer zu bändigen seien denn die Jagdrüden an der Leine, was schon der König David erfahren habe, als er zu dieser Stunde das Weib des Herrn Urias erblickt; daß man da, wo ein so frommer König gestrauchelt, der ein Geliebter Gottes war, mit einem armen verachteten Teufel nicht allzu streng ins Gericht gehen dürfe; daß er sich übrigens gern bereit erkläre, für den Rest seines Lebens zur Harfe bußhafte Psalmen zu singen, wie jener fromme König getan, der sich außerdem mit der großen Missetat beladen, einen Ehemann ermordet zu haben, während er, der Vagabund, einer Dirne des Feldes höchstens einen kleinen Schaden zugefügt.

     
    Der Herzog fand Geschmack an den Verteidigungsgründen des Vagabunden. Er bemerkte lächelnd, der Alte müsse wahrhaftig ein Kerl von guten H... sein. Dann fällte er folgendes denkwürdiges Urteil: Wenn es wahr sei, wie der Bettler aussage, daß er in seinem Alter noch solche unwiderstehliche Anwandlungen habe, so möge er dies unter dem Galgen, wozu ihn der Profos bereits verurteilt hatte, beweisen. Wenn ihm dort, am Fuß der Leiter zwischen dem Beichtvater und dem Henker, mit dem Strick um den Hals noch einmal dergleichen Phantasie ankomme, solle er begnadigt werden.
    Dieses Urteil des Fürsten verbreitete sich wie ein Lauffeuer in der Stadt, und als der arme Teufel zur Richtstätte geführt wurde, strömte eine unerhörte Menschenmenge zusammen, nicht anders als bei einem herzoglichen Einzug;, doch sah man, wie ihr euch wohl denken könnt, mehr Hauben unter der Menge als Hüte. Der Vagabund aber wurde gerettet durch eine Dame, die ungeheuer neugierig war, wie es mit dem erbarmungswürdigen Alten endigen werde. Sie hatte dem Herzog gesagt, daß es die christliche Barmherzigkeit verlange, dem armen Menschen seine Rettung soviel als möglich zu erleichtern. Schmückte sich die genannte Dame also wie zu einem Tanzfest, entblößte tief ihre wunderbar geformten schneeweißen Brüste – viel weißer als das schneeige Leinen ihres Fürtuchs –, bei deren Anblick dem Sattesten das Wasser im Mund zusammenlief, so niedlich waren sie. Und mit einem Lächeln auf den Lippen, das ganz Herausforderung, ganz Einladung war, stellte sie sich vor den armen Verurteilten, der in einem Kittel von grober Leinwand traurig und niedergeschlagen zwischen den Gerichtsknechten heranschritt und sehr befürchtete, das unmöglich vor dem Gehenktwerden zu erreichen, was hernach ja nicht ausbleiben werde. Denn einstweilen sah er, wie er auch um sich blickte, nichts als Hüte und Hauben. Er würde, so waren später seine eignen Worte, in diesem Augenblick gern tausend Taler dafür gegeben haben, eine Dirne vor Augen zu bekommen in der Situation jener Kuhhirtin, an deren Entblößungen er jetzt dachte. Sie hatten ihm Verderben gebracht und wären jetzt sicher imstande gewesen, ihn zu retten. Er suchte sie sich also recht deutlich vorzustellen, fand aber in seiner Greisenphantasie nur abgeblaßte,

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