Die Drenai-Saga 4 - Der Bronzefürst
ihm.
»Ist er gut gestorben?« fragte der Riese.
»Ja … was immer das auch heißen mag«, antwortete Chareos. Er stieg in den Sattel. »Wir reiten zurück.«
»Was werden wir tun, Schwertmeister?« fragte Beltzer.
»Gestern scheint jetzt so weit weg zu sein. Okas ist tot. Finn und Maggrig sind tot. Machen wir weiter?«
»Wozu sollten wir zurückkehren? Wir machen weiter.« Chareos stieß dem Grauen die Fersen in die Flanken und verließ die Lichtung. Beltzer nahm seine Axt, stieg auf und folgte ihm.
Harokas wartete eine Weile. Schließlich schwang er sich in den Sattel und ritt hinter den Gefährten her. Chareos hörte ihn kommen und zügelte sein Pferd, als der Meuchelmörder neben ihm war.
»Nun?« fragte der Schwertmeister.
»Ihr könnt nicht zu dritt die Nadirarmee angreifen«, sagte Harokas.
»Was schlägst du vor?«
»Zu viert stehen die Chancen besser.«
Chien-tsu schlug die Augen auf. Die Berge um ihn herum ragten wie Götterspeere empor, drohend und unheilvoll. Ein eisiger Wind heulte durch die Felsspalten. Sein Diener Oshi kauerte vor einem kleinen Feuer; sein Gesicht war blau vor Kälte. Chien schauderte.
»Sie ist tot«, sagte er und stellte sich Mai-syn vor, wie er sie zuletzt gesehen hatte, strahlend und glücklich, ihr Kleid aus gelber Seide in der Sonne schimmernd.
»Dann, Herr, hattest du wie immer recht«, sagte Oshi.
»Ich hatte gehofft, unrecht zu haben. Komm, laß uns eine Höhle suchen.« Oshi verließ nur ungern die scheinbare Wärme des kleinen Feuers, doch er stand auf, ohne zu klagen, und die beiden Männer führten ihre Pferde den gewundenen Bergpfad entlang. In dieser Höhe gab es keine Bäume, nur da und dort einen verkrüppelten, schneebedeckten Strauch. Links und rechts der Reisenden ragten steil die nackten Felswände auf, und nirgends gab es eine Höhle oder sonst einen Schutz, von flachen Einbuchtungen im Fels abgesehen. Oshi war überzeugt, daß sie hier sterben würden. Es war drei Tage her, daß sie etwas gegessen hatten – und das war ein dürrer Hase gewesen, den Chien mit seinem Bogen erlegt hatte.
Sie gingen weiter. Chien spürte die Kälte nicht; er verschloß seinen Geist vor ihr und dachte statt dessen an die schöne Mai-syn. Er hatte das Land nach ihrem Geist durchsucht, nach ihrer Seele geforscht, auf die Musik ihres Wesens gelauscht.
Jetzt war seine Stimmung düster und kälter als der Bergwind.
Der Pfad senkte sich in ein enges Tal hinab, dann stieg er wieder an. Eine Zeitlang ritten sie, doch es war noch kälter, wenn man unbeweglich im Sattel saß, und so stiegen sie wieder ab. Oshi stolperte und fiel, und Chien machte kehrt. »Bist du müde, alter Mann?«
»Ein bißchen, Herr«, gestand er.
Chien ging weiter. Er lächelte. Er konnte seinen Diener einfach nicht davon abbringen, ihn respektvoll anzureden.
Sie umrundeten eine Biegung des Pfades und erblickten einen alten Mann, der mit gekreuzten Beinen auf einem Stein saß. Er sah unglaublich alt aus. Die Haut seines Gesichts war verwittert wie Sandstein. Er trug nur ein Lendentuch aus blassem Leder und eine Halskette aus Menschenzähnen. Sein Körper war ausgemergelt; die Knochen stachen scharf wie Messerklingen unter der Haut hervor. Auf seinen knochigen Schultern lag Schnee.
»Guten Abend, alter Vater«, grüßte Chien mit einer Verbeugung.
Der alte Mann blickte auf, und als Chien ihm in die Augen sah, schauderte er innerlich. Die Augen waren schwärzer als die Nacht und kalt vor Bosheit – einer uralten Bosheit. Der Mann lächelte, wobei er einige schwärzliche Zähne sehen ließ.
Seine Stimme klang, als würde eine leichte Brise zwischen Grabsteinen wehen. »Mai-syn hat Jungir Khan erzürnt. Er hat sie seinen Wölfen vorgeworfen, die sie benutzten und dann zurückwarfen. In ihrer Verzweiflung hat sie sich die Kehle mit einer silbernen Schere durchschnitten. Es geschah weniger als einen Monat nach ihrer Ankunft.«
Chien spürte, wie sich ihm der Magen umdrehte, doch er bemühte sich, jeden Ausdruck aus seinem Gesicht zu verbannen.
»Ein schlichtes ›Guten Abend‹ hätte genügt, um das Gespräch zu beginnen, alter Vater. Aber ich danke dir für die Information.«
»Ich habe keine Zeit für Höflichkeiten, Chien-tsu, oder für die komplizierten, sinnlosen Rituale der Kiatze.« Der alte Mann lachte.
»Sieh dich um – das ist Nadirland. Es ist kalt und abweisend. Nur die Starken überleben. Hier gibt es keine grünen Felder, keine üppigen Weiden. Ein Krieger ist mit dreißig
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