Die Drenai-Saga 4 - Der Bronzefürst
habe kein Interesse an der Frau. Ihr könnt sie haben. Nur darauf kommt es euch doch an, oder? Oder wollt ihr etwas anderes?«
»Nein«, antwortete Chareos, »aber jetzt habe ich zwei Männer, die jeder ihr eigenes Geheimnis wahren.«
Asta kicherte, und das Geräusch ließ Chareos erschauern. »Der Kiatze? Er will nur Jungir Khan töten. Nichts weiter. Wenn die Zeit gekommen ist, wird er euch verlassen, jetzt hast du nur noch einen Mann, der dir Sorgen bereitet.«
Chareos fühlte sich unbehaglich. Er mochte Asta Khan nicht und wußte, es gab noch mehr zu sagen. Doch er konnte die Worte nicht finden. Der alte Mann beobachtete ihn mit stechendem Blick. Chareos hatte das Gefühl, als würden seine Gedanken gelesen.
»Ihr müßt euch heute nacht ausruhen«, sagte Asta. »Morgen werden wir über den Pfad der Seelen wandern. Es wird keine leichte Reise. Aber mit Glück und Mut werden wir es schaffen.«
»Ich habe von diesem Pfad gehört«, wisperte Chareos. »Er liegt zwischen den Welten, und es heißt, er wird von bösen Wesen bewohnt. Warum müssen wir diesen Pfad gehen?«
»Weil General Tsudai auf dem Weg zu uns ist, noch während wir hier reden. Er wird bei Tagesanbruch in den Bergen sein. Aber vielleicht zieht ihr es vor, gegen dreihundert Mann zu kämpfen …«
»Drei von uns sind bereits tot. Ich möchte nicht noch mehr sterben sehen.«
»Traurigerweise, Chareos, ist dies aber das Schicksal der
Geister-die-noch-kommen-werden.«
Beltzer konnte nicht schlafen. Er lag im flackernden Fackelschein und schloß die Augen, doch alles, was er sah, waren die Gesichter von Finn, Maggrig und Okas. Er drehte sich auf die Seite und schlug die Augen auf. Seine Axt neben ihm an der Höhlenwand, und er betrachtete sein Spiegelbild in den breiten Klingen.
Du siehst aus wie dein Vater, sagte er zu sich, in Erinnerung an den grimmigen Bauern und seinen unaufhörlichen, unerbittlichen Kampf gegen die Armut. Aufstehen eine Stunde vor Sonnenaufgang, um Mitternacht ins Bett, tagaus, tagein, gefangen in einer Schlacht, in der er nie zu siegen hoffen konnte. Das Ackerland war steinig, nahezu unfruchtbar, doch irgendwie hatte sein Vater gegen diese lebensfeindliche Umgebung angekämpft und ihr genug abgetrotzt, um Beltzer und seine fünf Brüder zu ernähren. Als Beltzer vierzehn war, hatten drei seiner Brüder bereits den Hof verlassen, waren davongelaufen auf der Suche nach einem leichteren Leben in der Stadt. Die beiden anderen waren, wie auch die Mutter, an der Roten Pest gestorben. Beltzer blieb, arbeitete an der Seite des verbitterten alten Mannes, bis sein Vater sich schließlich, beim Führen der Ackerpferde, an die Brust gegriffen hatte und zusammengesackt war. Beltzer hatte im Hochwald Bäume gefällt und sah ihn stürzen. Er hatte seine Axt fallen gelassen und war zu ihm geeilt, doch als er zum Vater gelangte, war der alte Mann bereits tot.
Beltzer konnte sich an kein einziges freundliches Wort von seinem Vater erinnern, und er hatte ihn nur einmal lächeln gesehen, als er an einem Winterabend betrunken gewesen war.
Er hatte ihn in der dünnen Scholle begraben und den Hof verlassen, ohne einen Blick zurückzuwerfen.
Von seine Brüdern hörte er nichts mehr. Es war, als hätte es sie nie gegeben.
Seine Mutter war eine stille Frau gewesen, zäh und kräftig. Auch sie hatte selten gelächelt. Doch wenn Beltzer an ihr Leben zurückdachte, erkannte er, daß sie auch wenig Grund zum Lächeln gehabt hatte. Er war an ihrer Seite gewesen, als sie starb. Im Tod hatte ihr Gesicht den ständig erschöpften Ausdruck verloren; sie war beinahe schön gewesen.
Beltzer setzte sich mit einem Gefühl der Melancholie auf. Er blickte sich um und sah, daß Chareos neben dem erlöschenden Feuer schlief. Er stand auf und nahm seine Axt. Er wollte die Sterne sehen, den Nachtwind auf seinem Gesicht spüren.
Er vermißte Finn. In jener Nacht auf dem Torturm, als die Nadir den Bogenschützen von der Mauer zerrten, war Beltzer zwischen sie gesprungen und hatte tödliche Hiebe ausgeteilt. Er war erstaunt, Chareos und Maggrig an seiner Seite zu finden. Er hatte sich gebückt, Finn auf seinen Rücken gehoben und war zum Tor zurückgerannt.
Später, als Finn das Bewußtsein wiedererlangte und man seine klaffende Stirnwunde verbunden hatte, war Beltzer zu ihm gegangen.
»Wie fühlst du dich?« hatte er gefragt.
»Ich würde mich um einiges besser fühlen, wenn du meinen Kopf nicht gegen den Türpfosten gerammt hättest«, brummte Finn.
Bei
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