Die Drenai-Saga 4 - Der Bronzefürst
öffnen. Der linke Laden klemmt ein wenig, aber mit einem kräftigen Stoß bekommt ihr ihn auf. Das Holz hat sich verzogen, wißt ihr. Ich bringe euch gleich euer Essen.«
Chareos zog seinen Umhang aus und schob einen Sessel vor das Feuer. Kiall ließ sich ihm gegenüber nieder und beugte sich vor. Sein Rücken heilte zwar schnell, doch die Wunden schmerzten noch immer.
»Wohin gehen wir von hier aus?« fragte er.
»Nach Südwesten ins Land der Nadir. Dort werden wir von den Nadren hören, die dein Dorf überfallen haben. Wenn wir Glück haben, ist Ravenna verkauft worden. Dann sollten wir es schaffen, sie zurückzurauben.«
»Was ist mit den anderen?«
»Um Himmels willen, Junge! Wahrscheinlich sind sie über das ganze Land verteilt. Einige wird man zweimal oder noch öfter verkaufen. Nie und nimmer können wir sie alle finden. Gebrauch deinen Verstand. Warst du jemals in der Steppe?«
»Nein«, gab Kiall zu.
»Es ist ein weites Land. Gewaltig. Endloses Grasland, verborgene Täler, Wüsten. Die Sterne scheinen ganz nah zu sein, und auch ein Mann könnte ein ganzes Jahr lang marschieren, ohne auch nur ein einziges Zeltdorf zu sehen. Die Nadir sind ein Nomadenvolk. Sie könnten einen Sklaven in … sagen wir, Talgithir, kaufen und drei Monate später in Drenan sein. Sie gehen, wohin sie wollen – es sei denn, der Khan ruft sie zum Krieg. Es wird schwer genug sein, Ravenna zu finden. Glaub mir!«
»Ich denke immerzu an sie«, sagte Kiall, wandte sich ab und starrte ins Feuer. »Wie verängstigt sie sein muß. Ich fühle mich schuldig, weil ich hier bequem am Feuer sitze.«
»Wir dürfen nichts überhasten, Kiall. Ravenna ist eine schöne Frau, sagst du. Deswegen werden sie ihr nichts antun. Ist sie noch Jungfrau?«
»Natürlich!« zischte Kiall errötend.
»Gut. Dann wird man sie nicht vergewaltigen. Sie wird einen guten Preis erzielen, und das kann bedeuten, daß die Nadren sie ein, zwei Monate behalten. Beruhige dich, mein Junge.«
»Bei allem Respekt, Chareos, würde es dir etwas ausmachen, mich nicht Junge zu nennen? Das habe ich zuletzt vor mehr als fünf Jahren gehört. Ich bin neunzehn.«
»Und ich bin vierundvierzig – das macht dich für mich zu einem Junge. Aber es tut mir leid, wenn es dich kränkt … Kiall.«
Der Dörfler lächelte. »Es kränkt mich nicht. Ich glaube, ich bin zu empfindlich. Aber ich fühle mich in deiner Gegenwart … jung und nutzlos. Ich bin Apothekergehilfe, ich kenne mich mit Kräutern und Medizin aus. Aber von Schwertkunst verstehe ich nichts. Ich wüßte nicht einmal, wo ich anfangen sollte, nach Ravenna zu suchen. Wenn du mich ›Junge‹ nennst, verstärkt das nur mein Gefühl der … Unzulänglichkeit bei unserer Suche.«
Chareos lehnte sich vor und legte ein Stück Holz aufs Feuer. Dann blickte er in die ernsten grauen Augen des jungen Mannes. »Sprich nicht von deiner Unzulänglichkeit«, sagte er. »Du hast deinen Wert unter Beweis gestellt, als du vor dem Graf gesprochen hast … und mehr. Nicht ein Mann unter hundert hätte eine Suche wie diese begonnen. Du wirst lernen, Kiall. Jeden Tag. Und das ist deine erste Lektion: Ein Krieger hat nur einen wahren Freund. Nur einen Mann, auf den er sich verlassen kann. Sich selbst. Er ernährt seinen Körper gut, er trainiert ihn, arbeitet an ihm. Wo ihm Fertigkeiten fehlen, übt er. Wo ihm Wissen fehlt, lernt er. Aber vor allen Dingen muß er glauben. Er muß an seine Willensstärke, seine Entschlußkraft, sein Herz und seine Seele glauben. Sprich nicht schlecht von dir, denn der Krieger in dir hört deine Worte und wird durch sie herabgesetzt. Du bist stark und tapfer. Du verfügst über eine edelmütige Gesinnung. Laß sie wachsen – du wirst es schon schaffen. – Wo bleibt unser verdammtes Essen?«
Draußen rannten zwei Jäger in die Siedlung. Der größere Mann warf einen Blick zurück und fluchte.
Aus dem Walt kamen vierzig Reiter mit gezogenen Schwertern.
Finn rannte die Stufen zum Wirtshaus hinauf, riß die Tür auf und schrak vor der Masse der eingekeilten Menschen drinnen zurück. »Überfall!« brüllte er, machte sofort kehrt und lief hinüber zur Scheune, wo Maggrig an einem Seil zum Heuboden hinaufkletterte. Das grollende Donnern von Hufen wurde lauter. Finn sah sich nicht
um,
sondern sprang nach
dem
Seil und zog sich hoch, bis er neben seinem Gefährten niederkniete. Maggrig legte einen Pfeil in den Bogen. »Wir hätten im Wald bleiben sollen«, sagte er. »Ich glaube nicht, daß wir hier sicherer
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