Die Drenai-Saga 4 - Der Bronzefürst
Dunkles Haar, das glänzte wie geölt, und ein Körper, den der Himmel geformt hatte. Tura war ihr Name. Sie war die Tochter eines Händlers. Mann, war der froh, sie loszuwerden! Jedenfalls, Chareos nahm sie ihm aus den Händen und baute ein Haus für sie. Schönes Haus. Großer Garten. Sie waren ungefähr vier Monate verheiratet, als Tura ihren ersten Liebhaber nahm. Er war Späher bei den Säbeln – der erste von vielen, der sich in dem Bett wälzte, das Chareos ihr gemacht hatte. Und er? Der Schwertmeister, der tödlichste Schwertkämpfer, den ich je gesehen habe? Er wußte nichts. Er kaufte ihr Geschenke, sprach ständig von ihr. Und wir alle wußten es. Dann fand er es heraus … ich weiß nicht wie. Das war kurz vor Bel-Azar. Er hat den Tod gesucht, Junge – mehr als jeder andere. Aber niemand
konnte
ihn töten. Er trug Kurzschwert und Dolch, und über seinem Leben hing ein Zauber. Vergiß nicht, ich war an seiner Seite, und ich sterbe nicht so leicht. Als die Nadir davonritten, war niemand so enttäuscht wie Chareos.«
Kiall schwieg und starrte gedankenverloren ins Feuer.
»Hab’ ich dich geschockt, Junge?« fragte Beltzer. »Nun, das Leben ist voller unangenehmer Überraschungen. Es hat nie einen besseren Ehemann gegeben als Chareos. Götter, er hat sie geliebt. Weißt du, wo sie endete?«
Kiall schüttelte den Kopf.
»Sie wurde Hure in Neu-Gulgothir. Der Schwertmeister weiß es nicht. Aber ich hab’ gesehen, wie sie dort bei den Docks ihrem Gewerbe nachging. Zwei Kupfermünzen.« Beltzer lachte. »Zwei ihrer Vorderzähne fehlten, und sie war ganz und gar nicht mehr so I schön. Damals hatte ich sie auch. Für zwei Kupfermünzen. In einer Gasse. Sie flehte mich an, sie mitzunehmen. Sie würde überall hingehen, sagte sie. Alles für mich tun. Sie sagte, sie hätte keine Freunde und keine Bleibe.«
»Was geschah mit ihr?« flüsterte Kiall.
»Sie warf sich von den Docks und starb. Man fand sie zwischen dem Abfall und den Abwässern treibend.«
»Warum hast du sie gehaßt?« wollte Kiall wissen. »Sie hatte dir; doch nichts getan.«
»Sie gehaßt? Ja, vielleicht. Ich sag’ dir warum. Während der ganzen Zeit, als sie Chareos Hörner aufgesetzt hatte, hat sie sich mir I nie angeboten. Sie hat mich wie den letzten Dreck behandelt.«
»Hättest du ihr Angebot denn angenommen?«
»Natürlich. Ich sagte doch, sie war schön wie eine Göttin.«
Kiall sah Beltzer ins Gesicht und erinnerte sich an das Lied von Bel-Azar. Dann wandte er den Blick ab und legte Holz aufs Feuer. »Willst du nicht mehr reden, Jung-Kiall?« fragte Beltzer.
»Es ist besser, manche Dinge nicht zu wissen«, antwortete der Dorfling. »Ich wünschte, du hättest es mir nicht erzählt.«
»Das Leben einer Hure ist nie eine schöne Geschichte.«
»Nein, wahrscheinlich nicht. Aber ich dachte nicht an sie, ich dachte an dich. Deine Geschichte ist ebenso abstoßend wie ihre.«
Kiall stand auf und ging davon. Die Sonne ging unter, und die Schatten wurden länger. Er fand Chareos auf einem umgestürzten Baumstamm sitzen und in den Sonnenuntergang starren. Der Himmel glühte; rote Banner wehten über den Bergen.
»Es ist schön«, sagte Kiall. »Ich habe den Sonnenuntergang immer geliebt.«
»Du bist ein Romantiker«, stellte Chareos fest.
»Ist das schlimm?«
»Nein, es ist die beste Art zu leben. Ich habe auch einmal so gefühlt – und ich war nie glücklicher.« Chareos stand auf und streckte sich. »Behalte deine Träume, Kiall. Sie sind wichtiger, als du glaubst.«
»Das werde ich. Sag mir, magst du Beltzer?«
Chareos lachte laut auf, und dieses Lachen, reich und voller Humor, hallte im Tal wider. »Niemand mag Beltzer«, sagte er. »Am wenigsten mag er sich selbst.«
»Warum hast du ihn dann mitgenommen? Warum hat Finn seine Axt gekauft?«
»Du bist der Träumer, Kiall. Sag du es mir.«
»Ich weiß es nicht. Ich kann es mir nicht vorstellen. Er ist so grob. Seine Sprache ist primitiv, und er hat keine Vorstellung von Freundschaft oder Treue.«
Chareos schüttelte den Kopf. »Beurteile ihn nicht nach seinen Worten, mein Freund. Wenn ich allein dort unten im Tal stünde, umzingelt von hundert Nadirkriegern, und ich würde nach ihm rufen – Beltzer käme! Auch Finn oder Maggrig. Und würde es seinen Tod bedeuten.«
»Das kann ich kaum glauben«, sagte Kiall.
»Laß uns hoffen, daß er es dir nie beweisen muß.«
Bei Morgengrauen des nächsten Tages zogen die Suchenden in die schattigen Kiefernwälder, indem sie
Weitere Kostenlose Bücher