Die Drenai-Saga 4 - Der Bronzefürst
gefreut.«
»Dann hast du sie nicht gehaßt?«
»Warum sollte ich sie hassen?« fragte Finn.
»Sie hat Chareos betrogen«, antwortete Kiall.
»Ihr Vater hat sie an ihn verkauft. Sie hat Chareos nie geliebt. Sie war zart und temperamentvoll – sie erinnerte mich an ein Rehkitz, das ich einmal sah. Ich jagte, und das Tier sah mich. Es kannte weder Bogen noch Jäger, und es hatte keine Angst. Als ich mit gespanntem Bogen dastand, trottete es auf mich zu. Ich ließ den Pfeil fallen, und das Rehkitz schmiegte sich an meine Hand. Dann ging es seines Wegs. Tura war genauso. Ein Rehkitz auf der Suche nach einem Jäger.«
»Dann mochtest du sie also?«
Finn gab keine Antwort, sondern stand auf und stieg den Hügel hinab. Die Sonne ging unter, und ein geisterhafter Mond schien durch die Wolken.
Chareos wartete, während der Mond höher stieg. Er tauchte die Lichtung in silbernes Licht, und das uralte steinerne Tor schimmerte und glänzte wie kaltes Eisen. Chareos stand auf und drehte den Kopf, dehnte die Muskeln an Schultern und Hals, um die Spannung zu lösen, die aus der Furcht geboren war. Irgend etwas tief in seinem Innern flackerte auf; eine lautlose Stimme mahnte ihn zur Vorsicht. Er spürte, daß er kurz vor einer Reise stand, die ihn an einen Ort bringen würde, an den er nicht gehen wollte, auf dunklen und gefahrvollen Pfaden. Es gab keine warnenden Worte, nur ein Gefühl kalter Bedrohung.
»Bist du bereit?« fragte Beltzer. »Oder möchtest du lieber, daß ich es versuche?«
Chareos antwortete nicht. Er ging zum Tor und streckte den Arm aus. Beltzer packte sein Handgelenk, als er sich vorbeugte, so daß sein Oberkörper verschwand. Sekunden später zog er ihn zurück.
»Ich weiß nicht, ob das der Ort ist, aber die Beschreibung paßt. Da drüben ist Urwald. Die Sonne scheint hell.« Er wandte sich an Maggrig und Finn. »Ich brauche nur Beltzer bei mir. Ihr anderen solltet hierbleiben und auf unsere Rückkehr warten.«
»Mir wird langweilig, wenn ich nur herumsitze«, sagte Finn. »Wir kommen mit euch.«
Chareos nickte. »Dann laßt uns gehen, ehe wir unseren Verstand wieder beisammen haben.«
Er machte kehrt – und war nicht mehr zu sehen. Beltzer folgte ihm; Maggrig und Finn traten gemeinsam hindurch. Kiall war plötzlich allein auf der Lichtung. Sein Herz klopfte wild. Angst durchströmte ihn. Einige Herzschläge lang stand er wie angewurzelt; dann sprang er mit einem wilden Aufschrei durch das Tor – und krachte Beltzer in den Rücken, so daß der Riese auf dem schlammbedeckten Pfad lang hinschlug. Beltzer fluchte, bückte sich und hievte Kiall auf die Füße. Kiall lächelte entschuldigend und schaute sich um. Riesige, mit Ranken bewachsene Bäume umgaben sie. Pflanzen mit Blättern wie Speere und schweren, purpurnen Blüten wuchsen am Boden. Die Hitze war drückend, und die Suchenden schwitzten in ihren dicken Winterkleidern. Doch was Kiall am meisten beeindruckte, war der Geruch – überwältigend und ekelerregend mischte sich verrottende Vegetation mit dem Moschusduft unzähliger Blumen, Pflanzen und Pilze. In der Ferne, zu ihrer Linken, ertönte ein kehliges Gebrüll, das von einer Kakophonie schnatternder Schreie in den Bäumen über ihren Köpfen beantwortet wurde. Kleine, dunkle Wesen mit langen Schwänzen sprangen von Ast zu Ast oder schwangen sich an Lianen weiter.
»Sind das Dämonen?« flüsterte Beltzer.
Niemand antwortete ihm. Chareos drehte sich nach dem Tor um. Auf dieser Seite schimmerte es wie Silber, und die Runenschrift war kleiner, unterbrochen von Mond- und Sternensymbolen. Er blickte zur Sonne empor.
»Hier ist es fast Mittag«, sagteer. »Morgen um diese Zeit werden wir uns auf den Rückweg machen. Ich schlage vor, wir folgen jetzt diesem Pfad. Mal sehen, ob wir ein Dorf finden. Was meinst du, Finn?«
»Der Vorschlag ist so gut wie jeder andere. Ich werde den Pfad markieren, falls jemand verlorengeht.« Finn zog sein Jagdmesser und schnitzte einen Pfeil, der auf das Tor deutete. Daneben ritzte er die Zahl zehn ein. »Das sind Schritte. Ich werde in weitem Bogen um unseren Pfad herum Baumstämme auf diese Weise markieren. Falls wir getrennt werden, müßt ihr nach den Zeichen suchen.« Kiall war sich bewußt, daß Finn seine Bemerkungen an ihn richtete, und nickte.
Die Gruppe brach vorsichtig auf und folgte dem sich windenden Pfad fast eine Stunde lang. In dieser Zeit verschwand Finn des öfteren, bog links ab und tauchte von rechts wieder auf. Die kleinen, dunklen
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