Die Drenai-Saga 4 - Der Bronzefürst
dort beobachten. Dann werde ich mir Gewißheit verschaffen, ob Mai-syn noch lebt. Danach werde ich Jungir Khan aufspüren und ihm den Kopf von den Schultern schlagen. Das ist alles.«
Chien zog seinen rotseidenen Brokatmantel aus und rief Nagasi zu sich. Der Krieger schüttelte seine Brustplatte ab und zog das Gewand an; dann verbeugte er sich vor Chien.
»Ich werde dafür sorgen, daß Oshi dein Haar ein wenig herrschaftlicher richtet«, sagte Chien. Dann ging er zu Sukai, der dicht bei dem Wagen stand. Der Krieger starrte zum sturmverkündenden Himmel empor.
»Wie viele werden sie gegen uns schicken, Herr?«
»Ich weiß es nicht. Warum interessiert dich das?«
»Falls es weniger als hundert sind, siegen wir vielleicht. Aber das würde nicht in den Plan passen, den du dir so sorgfältig zurechtgelegt hast.«
»Das stimmt«, sagte Chien ernst. »Aber ich glaube, daß die Feinde – zumal nach deiner Vorstellung beim Bankett – sichergehen wollen. Jungir Khan wird
mindestens
hundert Krieger schicken.«
»Und wenn wir siegen?« fragte Sukai.
»Dann siegt ihr – und wir müssen uns etwas Neues einfallen lassen«, sagte Chien. »Wärst du jetzt so freundlich, mir die Haare zu schneiden?«
»Die Männer werden dich sehen«, protestierte Sukai. »Das schickt sich nicht.«
Chien zuckte die Achseln. »Es ist wichtig, daß ich für einen Nadirnomaden durchgehe. Ein Edelmann aus Kiatze kann in diesem barbarischen Land nicht darauf hoffen zu überleben. Komm schon, Sukai.« Damit setzte er sich zu Boden. Sukai nahm eine lange Messingschere und begann, das stark pomadisierte Haar abzuschneiden, so daß nur noch ein kurzer Zopf oben am Kopf stehenblieb. Chien stand auf und zog das blauseidene Hemd, die Hose und seine hohen Stiefel aus. Dann hob er die Plane vom Wagen und zog ein Nadirwams aus Ziegenfell, lederne Beinkleider und ein Paar hohe, häßliche Reitmokassins heraus.
»Die Sachen sind doch gereinigt worden?« fragte er und hielt das Fellwams auf Armeslänge von sich.
Sukai lächelte. »Dreimal, Herr. Nicht eine Laus und nicht ein Floh haben überlebt.«
»Es stinkt nach Holzrauch«, murmelte Chien und schob die Arme in das Kleidungsstück, kletterte in die schlechtsitzenden Beinkleider und schnürte den Riemen aus ungegerbtem Leder zu. Zum Schluß zog er die Mokassins an.
»Wie sehe ich aus?« erkundigte er sich.
»Bitte, frag nicht«, antwortete Sukai.
Der Krieger rief Oshi herbei, der zwei Pferde brachte, deren Sättel durch Nadirsättel aus grobem Leder ersetzt wurden, an denen keine Steigbügel befestigt waren. »Vergrab die anderen Sättel«, befahl Chien.
Der Krieger nickte. »Außerdem«, fügte Chien hinzu, »wäre es besser, wenn Nagasi mit starken Gesichtsverletzungen stirbt.«
»Das habe ich ihm bereits erklärt«, sagte Sukai.
»Dann ist es Zeit, Abschied zu nehmen, mein Freund.«
»Ja. Möge dein Pfad gerade sein und deine Tage lang.«
Chien verbeugte sich. »Sieh vom Himmel auf mich herab, Sukai.«
Der Kriegsherr packte die Mähne seines Pferdes und schwang sich in den Sattel. Oshi kletterte auf den Rücken seiner Stute, und die beiden Reiter galoppierten aus dem Lager.
Chien und Oshi ritten weit hinauf in die Berge, wo sie die Pferde in einem dichten Pappelwäldchen versteckten. Dann saßen sie schweigend eine Stunde beisammen. Chien betete, während Oshi, der in den Kleidern eines Nadirkriegers lächerlich aussah, mit dem Problem kämpfte, wie er inmitten dieses öden, unzivilisierten Landes für seinen Herrn sorgen sollte.
Als Chien seine Gebete beendet hatte, stand er auf und ging zu einem Felsvorsprung, der das Tal überblickte. Wie befohlen, hatte Sukai Kochfeuer anzünden lassen, um die herum entspannt die Männer saßen. In Chien stieg Zorn auf. Es war unerträglich, daß ein Krieger wie Sukai auf diese Art und Weise geopfert werden sollte. In diesem Land des Verrats und der Barbarei gab es keine Ehre. Er dachte an seine geheimen Nachrichten an den Kaiser, überbracht von seiner vertrauenswürdigsten Konkubine. Es würde keine weiteren Geschenke für den Khan geben. Vielleicht würden die Nachrichten den Kaiser sogar ermutigen, seine Armee zu vergrößern.
Oshi schlich sich neben Chien. »Sollten wir uns nicht besser von hier entfernen, Herr?« fragte der alte Diener.
Chien schüttelte den Kopf. »Es wäre höchst unschicklich, wenn ich zuließ, daß die Männer unbeobachtet sterben. Falls es ein kleines Risiko für uns bedeutet, dann sei es.«
Die Sonne begann ihren
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