Die Drenai-Saga 4 - Der Bronzefürst
was das Schicksal Mai-syns begrifft. Sobald das geschehen ist, werden wir ein Schiff suchen, das dich nach Hause bringt.«
»Ich könnte dich nicht verlassen, Herr … Chien. Was sollte ich tun? Was würdest du ohne mich tun? Wir werden den Khan gemeinsam töten.«
»Jemand muß dem Kaiser die Nachricht überbringen. Ich werde dir auch Briefe an meine Frauen mitgeben. Du wirst mein Testament vollstrecken.«
»Dann hast du alles schon geplant?« fragte Oshi leise.
»Soweit es zum jetzigen Zeitpunkt möglich ist, ja. Es kann sich alles noch ändern. Aber jetzt laß uns reiten und einen guten Rastplatz suchen.«
Sie schlugen ihr Lager in einem alten, ausgetrockneten Flußbett auf, zündeten ein Feuer im Schutz des steilen Ufers an und nahmen ein leichtes Mahl aus getrockneten Früchten zu sich. Chien war nicht in der Stimmung, sich zu unterhalten. Er zog hinter seinem Sattel eine Decke hervor, wickelte sich darin ein und legte sich nieder.
»Nein, Herr, hier«, sagte Oshi. »Ich habe die Kiesel hier weggefegt, und darunter ist weicher Sand. Ich habe etwas davon für ein Kissen zusammengeschoben. Hier hast du es bequemer.«
Chien legte sich an den Platz, den Oshi vorbereitet hatte. Hier war es tatsächlich weicher und geschützt vor dem kalten Wind. Er schlief ein. Er träumte von seinem Zuhause in dem elfenbeinweißen Palast mit seinen Terrassengärten und den Landschaftsgärten mit ihren Bächen und Wasserfällen. Es war ein Platz der Ruhe. Doch Chien erwachte schlagartig, als er das Geräusch von Stiefeln auf den Kieseln des Flußbettes hörte. Er rollte sich aus seiner Decke und erhob sich. Der Mond stand hoch am Himmel, voll und strahlend. Kubai starrte Chien mit breitem Grinsen an; neben ihm standen vier Nadirkrieger. Oshi erwachte und kauerte sich an die Felsen.
»Glaubst du, ich kann nicht zählen?« fragte Kubai. »Ich habe unter den Toten nach dir gesucht. Weißt du, warum?«
»Bitte sag es mir«, bat Chien und faltete die Hände über der Brust.
»Seinetwegen«, antwortete Kubai und deutete auf Oshi. »Seine Leiche war nirgends. Also habe ich den Toten untersucht, den wir für dich gehalten hatten. Er hatte eine tiefe Wunde im Gesicht, aber das reichte nicht, um mich zu täuschen.«
»Deine Intelligenz überwältigt mich«, sagte Chien. »Du hast ganz recht. Ich hielt dich für einen übelriechenden, dummen, verräterischen Barbaren. In einem hatte ich Unrecht: dumm bist du nicht.«
Kubai lachte. »Du kannst mich nicht ärgern, gelber Mann. Weißt du, warum? Weil ich dich heute nacht schreien hören werde. Ich werde dir die Haut Zentimeter um Zentimeter abziehen.« Kubai zog sein Schwert und trat vor, doch Chien wartete, die Arme noch immer vor der Brust verschränkt. »Willst du nicht einmal kämpfen, Gelber?«
Chiens Arm schoß vor, und Kubai blieb abrupt stehen. Der Elfenbeingriff des Wurfmessers ragte aus seiner Kehle. Chien sprang vor, und sein Fuß krachte gegen Kubais Kopf, so daß er zu Boden ging. Die anderen Nadir rannten herbei. Chien duckte sich unter einer niedersausenden Klinge und stieß dem Angreifer seine Hand mit ausgestreckten Fingern ins Zwerchfell. Der Krieger klappte zusammen; die Luft entwich aus seinen Lungen. Chien wich einem Stoß aus und hämmerte einem zweiten Krieger seine Handkante gegen die Kehle. Dann warf er sich nach vorn, rollte sich über die Schulter ab und kam in einer einzigen geschmeidigen Bewegung wieder auf die Beine. Die letzten zwei Nadir näherten sich ihm mit mehr Vorsicht. Chiens Hand schoß vor, und einer der beiden krümmte sich auf dem Boden, einen Dolch im Auge. Der letzte Krieger wich zurück, doch Oshi erhob sich hinter ihm und stieß ihm eine dünne Klinge ins Herz.
»Du darfst kein Wagnis eingehen, Oshi.« sagte Chien. »Du bist zu alt.«
»Es tut mir leid, Herr.«
Kubai hatte die Klinge aus seiner Kehle gezogen und kniete im Flußbett. Blut strömte auf sein Ziegenfellwams. Chien kniete vor ihm nieder und nahm sein Messer an sich.
»Falls es dich interessiert«, sagte er, »deine Lungen füllen sich langsam mit Blut. Es heißt, daß ein Mann dabei die schönsten Visionen erleben kann. Du aber verdienst eine solche Freude nicht.«
Chien rammte die Klinge in Kubais Herz und stieß den Körper auf den Rücken.
»Ich hatte einen wunderschönen Traum«, sagte Chien. »Ich war zu Hause in den Gärten und – du erinnerst dich an die Pflanze, die wir an der Trockensteinmauer am Südtor zu kultivieren versuchten?« Oshi nickte. »Nun, sie stand
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