Die Drenai-Saga 5 - Im Reich des Wolfes
versuche. Was ist deine Entschuldigung dafür, daß du Priester zum Töten ausbildest?«
»Das würdest du nicht verstehen!« zischte der Abt. Er spürte, daß sein Herz schneller schlug und daß der Zorn ihn zu überwältigen drohte.
»Du hast recht, Dardalion. Ich verstehe es nicht. Aber ich bin auch kein religiöser Mensch. Ich diente einst der QUELLE, aber dann verstieß sie mich und tötete meine Frau. Jetzt sehe ich ihren Abt, der Soldat spielt. Nein, ich verstehe es nicht. Aber ich verstehe das Wesen der Freundschaft. Ich würde für die Menschen sterben, die ich liebe. Und wenn ich eine Gabe hätte wie deine, würde ich sie ihnen nicht verweigern. Bei den Göttern, Mann, ich würde sie nicht einmal einem Menschen verweigern, den ich nicht mag.« Ohne ein weiteres Wort marschierte der schwarzgekleidete Krieger aus dem Zimmer.
Dardalion sank in seinen Sessel und bemühte sich, ruhig zu werden. Eine Zeitlang betete er. Dann meditierte er, bevor er wieder betete. Schließlich öffnete er die Augen. »Ich wünschte, ich hätte es dir sagen können, mein Freund«, flüsterte er. »Aber das wäre zu schmerzlich für dich gewesen.«
Dardalion schloß erneut die Augen und ließ seinen Geist frei. Er glitt durch Fleisch und Knochen, als ob sein Körper zu Wasser geworden wäre, und tauchte auf wie ein Schwimmer, der nach Luft ringt. Als er hoch über dem Tempel war, blickte er auf die graue Burg und den hohen Hügel hinunter, auf dem sie stand, und er sah, wie sich die Stadt um den Fuß des Hügels herum ausbreitete, die schmalen Straßen, die großen Marktplätze und dahinter die Bärenkäfige, blutbesudelt. Doch seine Geist-Augen suchten nach dem Mann, der sein Freund gewesen war. Er ging leichten Schrittes den gewundenen Pfad zum Wald entlang, und Dardalion spürte seinen Kummer und seinen Zorn. Und die Freiheit des Himmels konnte nicht die Traurigkeit vertreiben, die den Abt überfiel.
»Du hättest es ihm sagen können«, flüsterte die Stimme Vishnas in seinem Geist.
»Das Gleichgewicht ist zu zerbrechlich.«
»Ist er denn so wichtig?«
»Er selbst? Nein«, antwortete Dardalion. »Aber seine Taten werden die Zukunft von Nationen verändern – das weiß ich. Und ich darf nicht – werde nicht – versuchen, ihn zu leiten.«
»Was wird er tun, wenn er die Wahrheit herausfindet?«
Dardalion zuckte die Achseln. »Was er immer tut, Vishna. Er wird jemanden suchen, den er töten kann. Das ist seine Art – ein ehernes Gesetz. Er ist nicht böse, mußt du wissen, aber er besitzt keine Kompromißbereitschaft. Könige glauben, daß es ihr Wille ist, der die Geschichte lenkt. Sie irren. Zu allen großen Ereignissen gehören Menschen wie Waylander. Die Geschichte erinnert sich vielleicht nicht an sie, aber sie sind da.« Er lächelte. »Frag ein Kind, wer den Vagrischen Krieg gewonnen hat, und es wird dir antworten: Karnak. Doch Waylander holte die Bronzerüstung zurück. Waylander tötete den feindlichen General Kaem.«
»Er ist ein Mann mit Macht«, stimmte Vishna zu. »Das konnte ich spüren.«
»Er ist der tödlichste Mann, dem ich je begegnet bin. Die ihn jagen, werden es zu spüren bekommen, fürchte ich.«
Waylander stellte fest, daß er seinen Zorn nur schwer beherrschen konnte, als er dem gewundenen Bergpfad folgte, der hinunter zum Wald führte. Er hielt inne und setzte sich an den Wegrand. Zorn macht blind, sagte er sich. Zorn stumpft die Sinne ab! Er holte tief und langsam Luft.
Was hast du von ihm erwartet?
Mehr als ich bekam.
Es war quälend, denn er hatte den Priester geliebt. Und ihn bewundert – die Sanftheit seiner Seele, den unerschöpflichen Brunnen von Vergebung und Verständnis, die er aufbringen konnte. Was hat dich verändert, Dardalion? fragte er sich. Aber er kannte die Antwort, und sie lastete auf seinem Herzen mit dem ganzen Gewicht, das nur Schuld bewirken kann.
Vor zehn Jahren hatte er den jungen Dardalion gefunden, der von Räubern gefoltert wurde. Wider sein besseres Wissen hatte er ihn gerettet – und damit war er in den Vagrischen Krieg hineingezogen worden. Er half Danyal und den Kindern, fand die Bronzerüstung, kämpfte gegen Werungeheuer und dämonische Krieger. Der Priester hatte sein Leben verändert. Dardalion war damals rein gewesen, ein Anhänger der QUELLE, unfähig zu kämpfen, selbst um zu überleben; nicht bereit, auch nur Fleisch zu essen. Er konnte nicht einmal die Männer hassen, die ihn folterten, oder den furchtbaren Feind, der das Land verheerte und
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