Die Drenai-Saga 5 - Im Reich des Wolfes
als er einen Lagerplatz fand, eine geschützte Höhle, so daß man sein Feuer nicht sehen konnte. Er saß noch bis tief in die Nacht, in seinen Umhang gewickelt. Er hatte für den Hund getan, was er konnte, aber das Tier hatte nur eine geringe Chance zu überleben. Es mußte jagen, um zu fressen, und mit seinen Verwundungen konnte es sich kaum bewegen. Wenn der Hund kräftiger gewesen wäre, hätte Waylander ihn ermuntert, ihn zu begleiten, und hätte ihn mit in die Hütte genommen. Miriel hätte das Tier gemocht. Waylander erinnerte sich an den verwaisten Fuchswelpen, den Miriel als Kind bemuttert hatte. Welchen Namen hatte sie ihm noch gegeben? Blue. Das war es. Er blieb fast ein Jahr lang in der Nähe der Hütte. Dann, eines Tages, war er davongelaufen und nie zurückgekehrt. Miriel war damals zwölf gewesen. Es war kurz bevor …
Die Erinnerung an das stürzende Pferd
, sich überschlagend, der furchtbare Schrei …
Waylander schloß die Augen, verdrängte die Erinnerung, konzentrierte sich auf das Bild der kleinen Miriel, die den Fuchswelpen mit Brot fütterte, das in warmer Milch eingeweicht war.
Kurz vor Morgengrauen hörte er, wie sich etwas am Höhleneingang bewegte. Er rollte sich auf die Füße und zog sein Schwert. Der graue Wolfshund hinkte in die Höhle und ließ sich zu seinen Füßen nieder. Waylander lachte in sich hinein und schob das Schwert wieder in die Scheide. Er hockte sich nieder und streckte die Hand aus, um das Tier zu streicheln. Der Hund ließ ein tiefes, warnendes Grollen hören und bleckte die Zähne.
»Bei den Göttern, ich mag dich«, sagte Waylander. »Du erinnerst mich an mich selbst.«
Miriel beobachtete den häßlichen Krieger bei seinen Übungen, wie seine kräftigen Hände den Ast umklammerten; der Oberkörper war in Schweiß gebadet. »Siehst du«, sagte er, während er sich geschmeidig hochzog, »die Bewegung muß flüssig sein, die Füße geschlossen. Berühr das Holz mit dem Kinn und laß dich dann herab – aber denk dran, nicht zu schnell, ohne zu verkrampfen. Entspanne deinen Geist.« Seine Stimme klang ruhig, ohne eine Spur von Anstrengung.
Er war kräftiger gebaut als ihr Vater; seine Schultern und Arme waren voller dicker Muskelstränge. Miriel sah Schweiß über seine Schulter und an seiner Seite herabrinnen. Wie ein winziger Bach floß er über die Hügel und Täler seines Körpers. Sonnenlicht glitzerte auf seiner bronzenen Haut, und die weißen Narben schimmerten wie Elfenbein auf seiner Brust und seinen Armen. Ihr Blick wanderte zu seinem Gesicht, der eingeschlagenen Nase, den gespaltenen, deformierten Lippen, den geschwollenen, zerrissenen Ohren. Der Kontrast war beängstigend. Sein Körper war so schön.
Aber sein Gesicht …
Er ließ sich zu Boden fallen und grinste. »Früher hätte ich hundert geschafft. Aber fünfzig sind auch nicht schlecht. Was denkst du gerade?«
Miriel fühlte sich ertappt und wurde rot. »Bei dir sieht es so einfach aus«, sagte sie und wandte den Blick ab.
In den drei Tagen, die sie jetzt übte, hatte sie nur einmal fünfzehn Klimmzüge geschafft. Er zuckte die Achseln. »Du schaffst es schon noch, Miriel. Du mußt nur mehr daran arbeiten.« Er ging an ihr vorbei, nahm ein Handtuch und legte es sich um den Hals. »Was passierte mit deiner Frau?« fragte sie plötzlich.
»Mit welcher?«
»Wie viele hattest du denn?«
»Drei.«
»Ist das nicht etwas übertrieben?«
Er kicherte leise. »Mir kommt’s inzwischen auch so vor«, gab er zu.
»Was war mit der ersten?«
Er seufzte. »Höllenkatze. Himmel, konnte sie kämpfen. Ein halber Dämon – und das war noch die sanfte Hälfte. Die Götter allein wissen, woher die andere Hälfte stammte. Sie schwor, ihr Vater sei ein Drenai, aber das habe ich keinen Augenblick geglaubt. Aber wir hatten auch schöne Zeiten. Wenn sie auch selten waren.«
»Starb sie?«
Er nickte. »Pest. Sie kämpfte dagegen, glaub mir. Alle Schwellungen waren weg, die Verfärbung. Ihr wuchsen sogar schon wieder die Haare. Dann holte sie sich eine Erkältung und hatte keine Kraft mehr, dagegen anzugehen. Starb in der Nacht. Ganz friedlich.«
»Warst du damals schon Gladiator?«
»Nein. Ich war Buchhalter bei einem Kaufmann.«
»Ich glaub’ es nicht! Wie hast du sie kennengelernt?«
»Sie tanzte in einer Kneipe. Eines Abends packte ihr jemand ans Bein. Sie trat ihm in den Mund. Er zog einen Dolch. Ich hielt ihn auf.«
»Du? Ein Buchhalter?«
»Mach nicht den Fehler, den Mut oder die
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