Die Drenai-Saga 6 - Druss-Die Legende
an die Nacht des Ungeheuers erinnerte, wunderte er sich immer über den Mangel an Furcht, den er verspürte. Er sah Menschen einen entsetzlichen Tod sterben, sah ein Wesen aus der Tiefe der Hölle menschliche Glieder zerreißen, Kriegern den Bauch aufschlitzen und ihnen das Leben herauszerren. Er hörte das gräßliche Heulen und roch den Geruch des Todes in der Nachtluft. Doch er hatte keine Angst.
Eine dunkle Legende war ins Leben getreten, und er, der Sagenmeister, war Zeuge.
Gorben stand stockstill, wie angewurzelt. Ein Soldat, den Sieben als Oliquar erkannte, warf sich auf das Ungeheuer und hieb mit seinem Säbel auf die Bestie ein, doch die Klinge klirrte gegen den Leib des Wesens, und das darauffolgende Geräusch klang wie das dumpfe Läuten einer fernen Glocke. Eine klauenbewehrte Pranke fuhr hernieder, und Oliquars Gesicht und Kopf verschwanden in einem blutigen Nebel aus zerschmetterten Knochen. Mehrere Bogenschützen schossen ihre Pfeile ab, doch diese zerbrachen entweder beim Aufprall oder prallten vom Körper ab. Das Wesen bewegte sich weiter auf Gorben zu.
Sieben sah den Kaiser zusammenzucken; dann warf er sich nach rechts und rollte sich geschmeidig auf die Füße. Das ungeheure Biest machte dröhnend kehrt, und die glühenden Kohlen seiner Augen suchten Gorben.
Getreue Soldaten, die unglaubliche Tapferkeit bewiesen, warfen sich dem Wesen in den Weg und stachen auf die Kreatur ein, doch ohne Wirkung zu erzielen. Jedesmal sausten die Klauen herab, und Blut spritzte durch das Lager. Nach wenigen Herzschlägen waren mindestens zwanzig Soldaten tot oder verwundet. Die Klauen des Chaoswesens rissen einem Kämpfer die Brust auf, hoben ihn von den Füßen und schleuderten ihn über das verlöschende Feuer hinweg. Sieben hörte, wie die Rippen des Mannes brachen, und er sah, wie seine Gedärme einem zerfetzten Banner gleich aus ihm herausquollen, als der Tote durch die Luft flog.
Mit der Axt in der Hand marschierte Druss auf das Wesen zu. Die Soldaten wichen zurück, bildeten aber noch immer eine Mauer zwischen dem Ungeheuer und dem Kaiser. Druss, der vor der gewaltigen Gestalt des Kaiith winzig und zerbrechlich wirkte, trat ihm in den Weg. Der Mond schien hell vom nächtlichen Himmel, glänzte auf seinen Schulterstücken und glitzerte auf Snagas furchtbaren Klingen.
Das Chaoswesen hielt inne und schien auf den winzigen Mann vor sich niederzublicken. Siebens Mund war trocken, und er konnte sein Herz klopfen hören. Und der Kaiith sprach, mit tiefer, grollender Stimme, durch die fast dreißig Zentimeter lange Zunge leicht undeutlich.
»Geh zur Seite, Bruder«, sagte er. »Ich bin nicht deinetwegen gekommen.«
Die Axt begann blutrot zu glühen. Druss blieb stehen, Snaga in beiden Händen haltend.
»Geh zur Seite«, wiederholte der Kaiith, »sonst muß ich dich töten!«
»Davon träumst du«, sagte Druss.
Das Wesen machte einen Satz nach vorn. Eine riesige Tatze sauste auf den Axtschwinger nieder. Druss ließ sich auf ein Knie fallen und schwang die blutrote Axt. Die Klinge durchtrennte das Handgelenk des Wesens. Als die klauenbewehrte Tatze neben dem Axtschwinger zu Boden fiel, wich der Kaiith zurück. Aus der Wunde drang kein Blut, sondern öliger Rauch, der sich blähte und ausdehnte. Feuer schoß aus dem Maul des Wesens, und wieder sprang es den Sterblichen an. Doch statt zurückzuweichen, warf Druss sich nach vorn, schwang Snaga hoch über dem Kopf und ließ die Waffe in einem tödlichen Bogen niederfahren, so daß sie dem Kaiith in die Brust drang, ihm das Brustbein zerschmetterte und ihm eine Wunde vom Hals bis zu den Lenden riß.
Flammen explodierten aus dem Ungeheuer und verschlangen den Axtschwinger. Druss taumelte – und der Kaiith wich zurück. Als die riesige Gestalt zu Boden krachte, spürte selbst Sieben, der zehn Meter entfernt war, die Erde beben. Ein Windstoß fuhr in die Höhe, und der Rauch verschwand.
Und keine Spur mehr von dem Kaiith …
Sieben rannte zu Druss. Die Augenbrauen und der Bart des Axtschwingers waren versengt, doch er wies keine Verbrennungen auf. »Bei den Göttern, Druss«, rief Sieben und schlug seinem Freund auf den Rücken. »Das gibt eine Geschichte, die uns beide reich und berühmt macht!«
»Das Biest hat Oliquar getötet«, sagte Druss, schüttelte Siebens Umarmung ab und ließ die Axt fallen.
Gorben ging zu ihm. »Das war eine hehre Tat, mein Freund. Ich werde es dir nicht vergessen – ich schulde dir mein Leben.« Er bückte sich und hob die Axt
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