Die Drenai-Saga 6 - Druss-Die Legende
Kampfgeschehen sah Shabag einen riesigen Krieger, ganz in Schwarz gekleidet, der eine doppelköpfige Axt schwang. Drei Männer griffen ihn an, doch er tötete sie binnen wenigen Augenblicken. Dann sah Shabag den Offizier – und die Erinnerung durchzuckte ihn wie ein Blitz.
Gorbens Soldaten umzingelten Shabags Zelt. Es war in der Mitte des Lagers aufgeschlagen worden, mit dreißig Schritt Abstand von den anderen Zelten, um dem Statthalter eine gewisse Privatsphäre zu gewähren. Jetzt war das Zelt von bewaffneten Männern umringt.
Shabag staunte über die Schnelligkeit, mit der der Feind zugeschlagen hatte. Aber sicherlich, überlegte er, bringt es ihm nichts ein. Fünfundzwanzigtausend Mann lagerten rings um die belagerte Hafenstadt. Wie viele Feinde mochten hier sein? Zweihundert? Dreihundert? Was hofften sie zu erreichen, außer Shabag selbst zu töten? Und wie konnte ihnen dies von Nutzen sein, wenn sie dabei starben?
Verblüfft stand er da – ein regloser, schweigender Zuschauer, während der Kampf tobte und die Flammen sich ausbreiteten. Er konnte die Augen nicht von dem finsteren, blutbeschmierten Axtschwinger wenden, der mit so tödlicher Effizienz tötete, mit einem solchen Minimum an Mühe. Als ein Horn erklang – eine schrille Reihe von Lauten, welche die Kampfgeräusche übertönten –, war Shabag erstaunt. Der Trompeter gab das Signal zum Waffenstillstand, und die Soldaten wichen zurück, für den Moment irritiert. Shabag wollte seinen Männern zurufen: »Kämpft weiter! Kämpft weiter!« Doch er brachte kein Wort hervor. Die Angst lähmte ihn. Der schweigende Kreis aus Soldaten um ihn herum stand bereit; ihre Klingen funkelten im Mondlicht. Er spürte, daß sie sich auf ihn stürzen würden wie Hunde auf einen Hirsch, wenn er auch nur eine Bewegung machte. Sein Mund war trocken, und seine Hände zitterten.
Zwei Männer rollten ein Faß heran, stellten es auf und überprüften den Deckel. Dann trat der feindliche Offizier vor und kletterte auf das Faß, das Gesicht Shabags Männern zugewandt. Dem Statthalter stieg bittere Galle in die Kehle.
Der Offizier warf seinen Umhang zurück. Eine goldene Rüstung hüllte seine Brust ein, und er nahm den Helm ab.
»Ihr kennt mich«, rief er mit voller, klingender, überzeugender Stimme. »Ich bin Gorben, der Sohn des Gottkönigs, der Erbe des Gottkönigs. In meinen Adern fließt das Blut von Pastar Sen und von Cyrios, dem Kriegsherrn, und von Meshan Sen, der über die Brücke des Todes wandelte. Ich bin Gorben!« Der Name dröhnte, und die Männer standen schweigend, wie gebannt. Selbst Shabag spürte, wie sich auf seiner kranken Haut eine Gänsehaut bildete.
Druss zog sich in den Kreis zurück und starrte auf die gewaltigen Reihen des Feindes. Über der Szene lag eine Art von göttlichem Wahnsinn, den er ungemein genoß. Er war wütend gewesen, als Gorben selbst im Hafen erschien, um das Kommando über die Truppen zu übernehmen – um so mehr, als der Kaiser Druss beiläufig davon in Kenntnis setze, daß der Plan geändert würde.
»Was ist falsch an dem bestehenden Plan?« fragte Druss.
Gorben lachte, nahm Druss am Arm und führte ihn außer Hörweite der wartenden Männer. »Gar nichts, Axtschwinger – außer dem Ziel. Du willst die Türme zerstören – bewundernswert. Aber es sind nicht die Türme, die bei dieser Belagerung über Sieg oder Niederlage entscheiden, es sind die Männer. Wir wollen sie heute Abend also nicht nur behindern, wir wollen sie besiegen.«
Druss kicherte. »Zweihundert gegen fünfundzwanzigtausend?«
»Nein. Einer gegen einen.« Er hatte seine Strategie skizziert, und Druss hatte ehrfürchtig gelauscht. Der Plan war kühn und gefahrvoll. Druss war begeistert.
Der erste Teil war abgeschlossen. Shabag war umzingelt, und der Feind lauschte Gorben. Aber jetzt kam der schwierige Teil. Erfolg und Ruhm oder Niederlage und Tod? Druss wußte es nicht, doch er spürte, daß ihr Plan jetzt auf Messers Schneide stand. Ein falsches Wort von Gorben, und die Horde würde über sie herfallen.
»Ich bin Gorben!« dröhnte die Stimme des Kaisers noch einmal. »Und jeder einzelne von euch wurde von diesem … diesem elenden Schurken hinter mir zum Verrat geführt.« Er winkte verächtlich in Shabags Richtung. »Seht ihn an! Steht da wie ein verängstigtes Kaninchen. Ist das der Mann, den ihr auf den Thron setzen wollt? Das wird nicht leicht für ihn! Er muß die königlichen Stufen emporsteigen. Wie soll er das tun, wenn seine Nase tief
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