Die dritte Ebene
reckte zum Zeichen, dass er verstanden habe, den Daumen in die Luft. Zusammen mit zwei Kollegen war er dazu eingeteilt worden, eine Pavillonkonstruktion aus Plastik und leichtem Stahl im Park gegen die Windböen abzusichern. Nachdem die immer stärker werdenden Winde einen Teil des Bauwerks mit sich gerissen hatten, ließen ihn seine Kameraden kurzerhand im Stich, und der junge und pflichtbewusste Mann blieb allein zurück. Gemeinsam kämpften sich Schneider und der Feuerwehrmann durch Wind und Regen. Sie umrundeten das Theater, um entsetzt festzustellen, dass der Helikopter von einem entwurzelten Baum getroffen worden und vollkommen eingedrückt war.
»Verdammt!«, schrie Schneider und betrachtete die gekrümmten Rotorenblätter. »Damit fliegen wir keinen Meter mehr.«
»Hier entlang!«, rief der Feuerwehrmann und deutete auf den Nebeneingang des Theaterbaus. »Dort drinnen sind wir einigermaßen sicher.«
Ein mittelgroßer Ast flog nur wenige Meter an den beiden vorüber. Schneider nickte und folgte dem jungen Mann.
Unterdessen hielt eine beinahe 15 Meter hohe Flutwelle auf den Mississippi-Sound zu, die Fjodor vor sich hergeschoben hatte. Bei Grand Isle traf sie auf den Mississippi und drückte das Wasser in den Flussarm zurück.
Santiago de Cuba
Der Hubschrauber hatte seine Passagiere etwa zwei Kilometer nördlich der Stadt auf einer Wiese abgesetzt, ohne dass jemand etwas bemerkt hätte, obwohl sich unzählige Militärfahrzeuge vor und in der Stadt befanden und hier und da ein Hubschrauber der kubanischen Streitkräfte über das Sperrgebiet flog.
»Ab hier seid ihr auf euch selbst gestellt«, hatte der Pilot gesagt, bevor er den Helikopter wieder in den dunkelblauen Himmel steuerte. Noch ehe die Sonne aufging, erreichten Suzannah und Brian den Stadtkern. Das Wasser war zwar wieder abgelaufen, aber überall lagen noch Unrat und Schwemmgut herum, das die Fluten mitgebracht hatten. Die pastellfarbenen Fassaden der kleinen Stadthäuser trugen einen feuchten Schatten, der bis zu zwei Meter über das Fundament reichte.
Der beginnende Morgen spülte die Menschen auf die Straßen. Mit Schaufeln und Pickeln arbeiteten sie daran, die Schäden der Monsterwelle zu beseitigen. Manche Fassaden hatten große Risse abbekommen. Langsam erhob sich die schwüle Hitze über der Stadt, und der Gestank von abgestandenem Wasser, verdorrendem Schlick und Verwesung füllte die Luft. Das Atmen fiel immer schwerer. Brian lotste Suzannah durch enge Gassen und Wege. Die Menschen beäugten sie neugierig, doch niemand sprach sie an. Brian sah die Leere in ihren Augen. Sie alle hatten den Tod gesehen.
»Wohin gehen wir eigentlich?«, fragte Suzannah atemlos.
»Zum Hafen«, antwortete Brian. »Um zu sehen, ob sich das Schiff hier befindet.«
»Und woher weißt du, wo sich der Hafen befindet?«
Brian zeigte auf die Sonne und wich einer großen Pfütze aus. Als sie auf einen freien Platz vor einer Kirche stießen, wandten sie sich nach Süden. Ein Jeep, besetzt mit uniformierten Soldaten, fuhr die Straße entlang und hielt neben ihnen.
»Alto! Adónde queréis?«, rief der Beifahrer, wohl ein Offizier, seinen Schulterklappen nach zu urteilen.
»Wir haben uns verlaufen«, antwortete Brian in schlechtem Spanisch.
»Sind Sie Amerikaner?«, antwortete der Offizier auf Englisch.
Brian schüttelte den Kopf. »Kanadier.« Er zückte seinen Reisepass. Suzannah blieb still. Ein unbändiger Durst quälte sie.
An alles hatten sie gedacht, an Kleidung, an festes Schuhwerk, an ihre Papiere. Nur nicht daran, einen Vorrat an Wasser mitzunehmen.
»Woher kommt ihr?«, fragte der Offizier.
»Wir sind von dem Schiff im Hafen«, antwortete Brian. »Es wurde von der Welle getroffen. Wir suchen die Verletzten.«
Der Offizier schien sich mit der Antwort zufriedenzugeben. »Hier seid ihr falsch, ihr müsst zurück!«, erwiderte er und zeigte mit der Hand eine Gasse hinunter.
»Wissen Sie, wohin die Verletzten gebracht wurden?«, fragte Brian.
»Sie sind im Hospital San Jorge«, antwortete der Offizier.
»Und wo ist das?«
»Zehn Minuten von hier, in der Nähe des Hafens.«
Brian bedankte sich, und der Offizier gab seinem Fahrer ein Zeichen. Der Motor heulte auf, als sich der Jeep in Bewegung setzte. Nachdem das Fahrzeug um die Ecke verschwunden war, atmete Suzannah auf.
»Ich hatte eine solche Angst«, stöhnte sie.
»Die Kubaner sind freundliche Menschen«, sagte Brian.
Je weiter sie der Gasse in der angegebenen Richtung folgten, umso
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