Die dritte Ebene
sagte Suzannah, nachdem sie ihre Fassung wiedergefunden hatte. »Wie … wie geht es Tom?«, fragte sie mit brüchiger Stimme.
Peggy trat an das Bett ihres kleinen Sohnes. »Es ist kein komplizierter Beinbruch, er wird wieder.«
Der Lärm mehrerer Helikopter drang in das Innere des behelfsmäßig eingerichteten Krankenhauses. Bald darauf hallte ein lautes Rufen in Spanisch durch die Gänge. Ein kubanischer Offizier in Begleitung zweier bewaffneter Soldaten eilte den Gang entlang. Immer wieder rief er den Patienten ein paar Worte zu. Der Arzt im weißen Kittel, es handelte sich um den Schiffsarzt der Caribbean Queen, kam aus einem der Zimmer und trat dem Offizier in den Weg.
»Was sagt er?«, fragte Peggy.
»Transportfähige Patienten sollen sich für den Abtransport bereithalten«, übersetzte Brian. »In Havanna wartet eine Maschine auf dem Flugplatz, die nach Miami fliegt. Sie wollen evakuieren.«
»Endlich«, stöhnte Peggy. »Wenn ich nicht bald hier herauskomme, werde ich noch verrückt.«
Der Offizier ging in Begleitung des amerikanischen Schiffsarztes den Gang entlang. Vor den leichter verletzten Patienten blieb er stehen und wechselte ein paar Worte in gebrochenem Englisch mit ihnen. Auch vor dem Bett von Tom machten Arzt und Offizier halt.
»Sie werden mit Ihrem Sohn nach Havanna gebracht«, sagte der Schiffsarzt zu Peggy. »Ihr Junge war tapfer. Er wird den Unfall unbeschadet überstehen. Der Knochenbruch wird wieder verheilen.«
Der Offizier zeigte auf Suzannah und Brian.
»Sie gehören zu mir«, beeilte sich Peggy zu antworten.
»Wir werden den Jungen auf einer Tragbahre transportieren«, sagte der Arzt. »Die Hubschrauber stehen draußen bereit. Machen Sie sich bitte fertig!«
New Orleans, Louisiana
Im nördlichen Gebäudetrakt, jenseits des Fahrstuhlschachts, durchzogen dicke Träger aus Stahlbeton die Deckenkonstruktion. Der Wind zerrte und riss an der Fassade. Fensterscheiben aus Sicherheitsglas zerbarsten unter der Wucht der Böen. Schließlich gaben die Träger auf der Westseite des Gebäudes nach und knickten ein. Krachend und tosend stürzte die Decke hinab in die Tiefe. Schneider und der junge Feuerwehrmann hatten es geschafft, rechtzeitig dem Inferno zu entkommen und sich zwischen dem Fahrstuhlschacht und dem angrenzenden Anbau in Sicherheit zu bringen. Ihnen blieb nur die Hoffnung, dass die Konstruktion des Fahrstuhlschachts fest und dicht genug war, sodass das Wasser nicht allzu tief in die Poren eindringen konnte, um den Beton aufzuweichen. Unmittelbar über dem Fahrstuhlschacht lag ein Raum, der die Technik und Steuerungsgeräte für den geräumigen Bühnenaufzug beherbergte.
Schneider öffnete die Stahltür und schaute sich darin um. Es war düster im Raum. Nur ein kleiner Lichtschacht im oberen Bereich der Außenwand ließ das fahle Tageslicht ins Innere. Das Licht funktionierte nicht. In der gesamten Stadt war der Strom ausgefallen, nachdem das Umspannwerk im Süden in den braunen Fluten verschwunden war.
»Hier hinein!«, rief Schneider gegen das Tosen des Sturms an. Bill musterte seinen Begleiter mit großen Augen. »Hier drinnen sind wir sicher«, beruhigte Schneider den jungen Mann und klopfte gegen die Wand. »Stahlbeton, mindestens vierzig Zentimeter dick. Das müsste reichen, um dem Wind standzuhalten.«
Bill nickte und folgte ihm. Sie schlossen die Tür. Plötzlich wurde es still. Das Tosen, Brausen und Lärmen erstarb. Lautlosigkeit breitete sich aus. Bill schaute Schneider fragend an.
»Es ist nicht wegen der geschlossenen Tür«, belehrte Schneider seinen jungen Begleiter und blickte auf seine Armbanduhr. »Das Auge ist über uns. Es heißt, die Ausdehnung des Auges beträgt hundert Kilometer. Das bedeutet, die nächsten drei Stunden bleibt es still.«
»Dann könnten wir doch …«
Schneider schüttelte den Kopf. »Wir bleiben hier. Das Hochwasser ist bestimmt schon über drei Meter hoch angestiegen. Selbst wenn wir ein anderes Gebäude erreichen, ändert sich nichts an der Situation. Wir bleiben hier und warten ab.«
»Ich muss wissen, was da draußen vor sich geht«, erwiderte der Feuerwehrmann. »Vielleicht braucht jemand unsere Hilfe.«
»Junger Freund«, sagte Schneider beschwichtigend. »Jetzt ist nicht die Zeit, über Hilfe für andere nachzudenken. Wir können uns nicht einmal selbst helfen. Wenn wir dort hinausgehen, dann ist unser Leben keinen Pfifferling mehr wert. In den braunen Fluten herrschen Unterströmungen, denen wir nichts entgegenzusetzen
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