Die dritte Ebene
Binde gekippt?«
Jack Silverwolfe machte eine abwehrende Geste. »Nichts verstehst du, gar nichts.«
Durch den Regen führte Dwain den Alten zum Streifenwagen und setzte ihn auf den Rücksitz. Nachdem er den Schlüssel des Pick-up abgezogen, das Licht ausgeschaltet und den Wagen abgesperrt hatte, setzte er sich hinter das Steuer des Maverick. Der Regen hatte seine Jacke durchdrungen, und er fröstelte.
»Wegen dir werde ich morgen einen schönen Schnupfen haben«, sagte Dwain zu dem Alten. »Ich werde dir jetzt erst einmal zu einem warmen Plätzchen verhelfen. Aber kotz mir bloß nicht den Wagen voll.«
Dwain startete den Wagen und schaltete die Heizung ein.
»Ich habe sie gesehen«, murmelte Jack Silverwolfe. »Ich habe sie gesehen. Er hat mir gesagt, dass sie aus den Wolken kommen, bevor er seine Augen für immer geschlossen hat. Er war noch so jung, aber er hat es gewusst.«
Dwain horchte auf. »Wer hat es gewusst?«
»Sie haben ihn mitgenommen und untersucht. Dann haben sie ihn einfach weggeworfen.«
Dwain bremste so jäh, dass Jack mit dem Gesicht gegen das Sicherheitsnetz prallte, das den Fahrer vor möglichen Aggressionen von Festgenommenen schützte.
»Von wem redest du, zum Teufel?«, schrie Dwain den alten Mann an. »Was weißt du über den Toten?«
»Sie waren da, ganz nah. Oben am Himmel. Ihre Augen sind rot wie die feurige Glut. Sie werden kommen, und die Welt wird verbrennen.«
»Verdammt! Reiß dich zusammen. Du hast von einem Toten gesprochen, der untersucht wurde. Was weißt du darüber?«
»Ich bin … ich bin … mir dreht sich alles … ich kann nicht!«
Ein Schwall Erbrochenes spritzte durch das Netz und beschmutzte Dwains Jacke. Dwain fluchte. Der Alte ließ sich zufrieden zurücksinken und schloss die Augen.
Der Sheriff rief laut seinen Namen, doch der Alte reagierte nicht. Nur das Rasseln seines Atems erfüllte die Stille. Der Regen hatte aufgehört, das Gewitter hatte sich verzogen.
Dwain legte den Gang ein und fuhr über die nasse Straße nach Socorro. Vor der Stadtgrenze griff er zum Funkgerät und rief die Zentrale.
»Verdammt! Dwain, wo waren Sie nur!«, antwortete ihm Donnas vorwurfsvolle Stimme. »Sie glauben gar nicht, was hier los war. Ein Anruf jagte den anderen. Insgesamt habe ich siebzig Notrufe registriert.«
»Wegen des Sturms?«
»Hier drehen alle durch. Die Leute wollen Ufos über dem Bosque gesehen haben. Rot glühende Scheiben sollen dort herumgeflogen sein. Ich habe so etwas noch nicht erlebt.«
»Ufos, sagst du?«
»Wenn ich es doch sage! Erwachsene Menschen, du wirst es nicht glauben. Sogar Dr. Strauss vom Krankenhaus hat angerufen. Ich habe Carlos hinuntergeschickt, aber außer Blitze hat er nichts entdeckt. Ich glaube, hier drehen langsam alle durch. Wo bist du jetzt?«
»Ich komme von Magdalena herüber. Ich habe den alten Jack Silverwolfe an Bord. Er ist betrunken und mit seinem Wagen in den Graben gerutscht. In zwanzig Minuten bin ich bei dir. Gehen immer noch Anrufe wegen der Sache ein?«
»Nein, nicht mehr, seit das Gewitter losgebrochen ist.«
»Ich beeile mich«, versicherte Dwain und schob den Hörer zurück in die Halterung.
Ein kurzer Blick streifte den alten Mann auf dem Rücksitz. War Jack Silverwolfe doch nicht im Delirium? Hatte er tatsächlich eine ungewöhnliche Beobachtung gemacht? Und was hatte es mit dem toten Jungen auf sich, von dem er gefaselt hatte?
Dwain kannte den alten Jack seit Jahren. Der alte Mann hielt sich für einen der letzten Medizinmänner der Navajos und lebte außerhalb des Reservats in einer Hütte am Rio Salado. Im Winter schnitzte er kleine Holzfiguren, die er an Touristen verkaufte, und im Sommer stellte er Fallen auf und lebte vom Fischen. Jack trank gern mal einen über den Durst, und zwar den hochprozentigen Kakteenschnaps, den Tante Gippy nach einem alten Rezept herstellte. Es hieß, das Zeug sei so stark, dass es Löcher in Autotüren fraß. Natürlich war das eine Übertreibung, aber Dwain hatte in der Tat noch keinen stärkeren Alkohol getrunken. Er gab Gas. Mittlerweile roch es so penetrant nach Erbrochenem, dass er die Scheibe öffnen musste. Der Alte schlief friedlich weiter. Sein Brustkorb hob und senkte sich gleichmäßig. Es blieb keine andere Wahl, er musste warten, bis Jack wieder nüchtern war, bevor er ihn weiter befragen konnte. Was wusste Jack Silverwolfe über den Toten vom Coward Trail?
Socorro, New Mexico
Dwain Hamilton war noch lange wach gewesen. Es war zu spät geworden, um noch
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