Die dritte industrielle Revolution - die Zukunft der Wirtschaft nach dem Atomzeitalter
Und Sie hatten keine Ahnung, wie weit es bis zu nächsten Tankstelle ist? Viele Fahrer sind in einem solchen Fall versucht, aufs Gas zu treten in der Hoffnung, schneller auf eine Zapfsäule zu stoßen. Wir reden uns ein, unsere Chancen, rechtzeitig zu Benzin zu kommen, dadurch vergrößern zu können, dass wir |223| schneller fahren, was jedoch den Gesetzen der Thermodynamik widerspricht. Indem wir langsamer fahren, vergrößern wir die Strecke, die wir zurücklegen können, und erhöhen damit die Aussichten darauf, eine Tankstelle zu erreichen.
Wenn neoklassische Ökonomen von Produktivität und Wirtschaftswachstum im Sinne des Verhältnisses von Output per Einheit Input sprechen, dann meinen sie damit Input an Kapital und Arbeit. Dabei ist der Kapitaleinsatz pro Arbeiter nur für 14 Prozent des tatsächlichen Wirtschaftswachstums in den Vereinigten Staaten und anderen Industrienationen verantwortlich, was 86 Prozent des Wachstums unerklärt lässt. Robert Solow, dessen Theorie des Wirtschaftswachstums ihm 1987 einen Nobelpreis einbrachte, sagt ganz offen, dass die fehlenden 86 Prozent »ein Maß unserer Unwissenheit« seien. 16
Es bedurfte eines Physikers, um das Rätsel dieser Differenz zu klären. Reiner Kümmel von der Universität Würzburg hat ein Wachstumsmodell vorgestellt, in dem neben dem Input an Kapital und Arbeit auch die Energie Berücksichtigung findet. Anhand dieses Modells prüfte er die Wachstumsdaten der Vereinigten Staaten, Großbritanniens und Deutschlands zwischen 1945 und 2000. Die Energie, so stellte er dabei fest, sei der »fehlende Faktor«, der für den Rest von Produktivität und Wirtschaftswachstum verantwortlich sei. 17
Auch Robert Ayres, ein Professor für Umwelt und Management an der INSEAD Business School im französischen Fontainebleau, der Physik studiert und einen Gutteil seiner beruflichen Laufbahn dem Studium von Energieflüssen und technologischem Wandel gewidmet hat, und Benjamin Warr, einer seiner Forschungsassistenten, konstruierten ein Drei-Faktoren-Modell, das sie erst an der Wachstumskurve der USamerikanischen Wirtschaft des ganzen 20. Jahrhunderts testeten, dann an den Wachstumskurven Großbritanniens, Japans und Australiens. Ayres und Warr fanden heraus, dass das Einbeziehen von Energie in das Inputmodell »nahezu 100 Prozent des Wirtschaftswachstums dieser vier Länder im 20. Jahrhundert« erklärt. Das Modell von Ayres und Warr zeigt deutlich, dass »die Steigerung der thermodynamischen Effizienz, mit der Energie und Rohmaterialien in Nutzarbeit umgewandelt |224| werden«, den größten Teil der erhöhten Produktivitätsgewinne und des Wachstums von Industriegesellschaften erklärt. 18
Noch klarer wird die kritische Rolle, die Energie bei Produktivität und Gewinnmargen spielt, wenn wir uns die Mikroebene einzelner Firmen vergegenwärtigen. Nehmen wir als Beispiel den spanischen Business-Hotel-Betreiber NH Hoteles, der mit seinen 400 Hotels Europas drittgrößte Hotelkette und Markführer sowohl in Italien als auch in Spanien ist.
Jüngst aß ich mit Gabriele Burgio, dem Chef von NH Hoteles, in einem seiner Häuser in Madrid zu Abend. Er sitzt im Exekutivausschuss unseres Third Industrial Revolution Global CEO Business Roundtables und ist ein liebenswürdiger, leiser Herr, der besessen ist vom Gedanken der Energieeffizienz. Warum? Bei unserer vegetarischen Mahlzeit erklärte er mir, dass 30 Prozent der betrieblichen Aufwendungen seiner Hotels energiebezogen und der zweitgrößte Kostenfaktor nach den Löhnen und Gehältern seien. Für Gabriele ist die Beachtung thermodynamischer Effizienz und neuer Arten, die Produktivität zu fördern, kein obskures Wirtschaftskonzept, sondern Werkzeug für die betriebliche Praxis. Sein Erfolg mit NH Hoteles ist nicht zuletzt auf die gewaltigen Einsparungen durch reduzierten Energieverbrauch und energieeffizientere Arbeitsabläufe zurückzuführen – Minderkosten, die er in Form von günstigeren Preisen an die Gäste seiner Nobelherbergen weitergeben kann.
NH Hoteles hat ein Online-Kontrollsystem namens Datamart eingeführt, das unablässig den Energieverbrauch der Hotels überwacht. Die damit gewonnenen Informationen dienen der Minimierung von Verschwendung und der Optimierung des Komforts seiner Gäste. Zwischen 2007 und 2010 hat NH seine Klimabilanz dramatisch verbessert: Der Energieverbrauch sank um 15,83 Prozent, die CO 2 -Emissionen um 31,03 Prozent, um 28,2 Prozent der Wasserverbrauch; darüber hinaus produzierte man
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