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Die dritte Jungfrau

Die dritte Jungfrau

Titel: Die dritte Jungfrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fred Vargas
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und das Innere eines Steinbockkopfes ebenfalls. Mit einiger Verspätung stürzte sich der braunhaarige Steinbock auf die Wölfe und brach ihnen die scharfen Zähne aus. Die beiden Tiere machten sich aus dem Staub. Der rote Steinbock war ins Bein gebissen worden, und der braunhaarige Steinbock mußte ihn versorgen. Er konnte ihn doch nicht sterben lassen, was meinst du, Tom? Die Steinbockfrau hatte sich die ganze Zeit über versteckt. Sie wollte sich nicht entscheiden zwischen dem Rothaarigen und dem Braunhaarigen, das ging ihr auf die Nerven. Da setzten sich die beiden Steinböcke in den Sessel, zündeten sich eine Pfeife an und unterhielten sich mal richtig. Doch schon bei der kleinsten Kleinigkeit stießen sie sich gegenseitig mit ihren Hörnern, weil der eine dachte, er hätte recht und der andere unrecht, und der andere glaubte, die Wahrheit zu sagen, während der eine log.«
    Das Kind stupste seinem Vater einen Finger aufs Auge.
    »Ja, Tom, es ist kompliziert. Es ist ungefähr so wie das opus piscatum mit seinen Ähren, die in zwei verschiedene Richtungen laufen. Unterdessen kam die dritte Jungfrau hinzu, die brav mit den Springmäusen in einem Bau lebte. Sie ernährte sich von Löwenzahn und Wegerich, und seitdem ein Baum sie beinahe erschlagen hatte, zitterte sie immerfort. Dritte Jungfrau war winzig, sie trank viel Kaffee und wußte sich nicht zu verteidigen gegen die bösen Geister des Waldes. Dritte Jungfrau rief um Hilfe. Doch manche Steinböcke regten sich auf, sie meinten, daß es Dritte Jungfrau gar nicht gäbe und man sich nicht einmischen sollte. Und der braunhaarige Steinbock sagte: ›Einverstanden, reden wir nicht mehr davon.‹ Schau, Tom. Ich starte den Versuch noch einmal.«
    Adamsberg wählte Danglards Nummer.
    »Capitaine, es geht mal wieder um die Bildung des Kleinen. Es war einmal ein König.«
    »Ja.«
    »Der die Frau von einem seiner Generäle liebte.«
    »Einverstanden.«
    »Er schickte seinen Rivalen in die Schlacht, wohl wissend, daß er ihn damit in den Tod sandte.«
    »Ja.«
    »Danglard, wie hieß dieser König?«
    »David«, antwortete Danglard mit ausdrucksloser Stimme, »und der General, den er geopfert hat, hieß Uria. David heiratete dessen Witwe, die die Königin Bathseba wurde und später König Salomo gebar.«
    »Siehst du, Tom, wie einfach es ist«, sagte Adamsberg zu seinem Sohn, der auf seinem Bauch hing.
    »Sagen Sie das für mich, Kommissar?« fragte Danglard.
    Adamsberg merkte, daß die Stimme seines Mitarbeiters noch immer wie erloschen klang.
    »Wenn Sie glauben, ich hätte Veyrenc in den Tod geschickt«, fuhr Danglard fort, »liegen Sie richtig. Ich könnte behaupten, daß ich es nicht gewollt habe, ich könnte schwören, daß ich überhaupt nicht daran gedacht habe. Und dann? Was weiter? Wer wird je herausfinden, ob ich es, tief in meinem Kopf und ohne es zu wissen, nicht doch gewünscht habe?«
    »Capitaine, finden Sie nicht, wir quälen uns schon genug mit dem, was wir in Wirklichkeit denken, müssen wir uns da noch zusätzlich um das sorgen, was wir vielleicht hätten denken können, wenn wir es gedacht hätten?«
    »Egal«, antwortete Danglard, kaum hörbar.
    »Danglard. Er ist nicht tot. Niemand ist tot. Außer Ihnen vielleicht, der Sie in Ihrem Wohnzimmer vor sich hin sterben.«
    »Ich bin in der Küche.«
    »Danglard?«
    Adamsberg erhielt keine Antwort.
    »Danglard, nehmen Sie eine Flasche, und kommen Sie zu mir. Ich bin allein mit Tom. Die heilige Clarisse macht gerade einen Spaziergang. Mit dem Gerber, nehme ich an.«
    Der Kommissar legte auf, um dem Commandant nicht erst die Möglichkeit zu geben, nein zu sagen. »Tom«, sagte er, »erinnerst du dich an das überaus weise Kamel, das so viel gelesen hatte? Und das eine gewaltige Dummheit begangen hatte? Nun, in seinem Kopf war es dermaßen kompliziert, daß es sich nachts darin verirrte. Manchmal auch tagsüber. Und weder seine Weisheit noch sein Wissen konnten ihm dann helfen, den Ausgang zu finden. Also mußten die Steinböcke ihm ein Seil zuwerfen und kräftig ziehen, um ihn da rauszuholen.«
    Plötzlich hob Adamsberg den Kopf zur Decke des Schlafzimmers. Oben auf dem Dachboden ein Schurren, ein gedämpfter Ton. Die heilige Clarisse ging also doch nicht mit dem Gerber spazieren.
    »Das hat nichts zu bedeuten, Tom. Ein Vogel oder der Wind oder ein Stück Stoff, das über den Boden schleift.«
     
    Um Danglards Geist bis in alle Winkel hinein gründlich zu reinigen, machte Adamsberg ein ordentliches Feuer.

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