Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die dritte Jungfrau

Die dritte Jungfrau

Titel: Die dritte Jungfrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fred Vargas
Vom Netzwerk:
Lieutenant unter den anderen Arm. »Wie geht’s dem Bein?« fragte er, als Veyrenc wieder in der Waagerechten lag.
    »Gut. Besser als Ihnen«, sagte Veyrenc, dem Adamsbergs erschöpftes Gesicht auffiel. »Was ist los?«
    »Sie ist verschwunden. Violette. Seit drei oder seit fünf Tagen. Sie ist nirgends, sie hat nichts von sich hören lassen. Freiwillig ist sie sicher nicht weg, alle ihre Sachen sind noch da. Sie hatte nur ihre Jacke und ihren kleinen Rucksack bei sich.«
    »Den dunkelblauen.«
    »Ja.«
    »Bettina sagte mir, Sie hätten sich Freitagnachmittag mit ihr unterhalten, vorn am Empfang. Violette habe Ihnen erzählt, sie wolle noch bei jemandem vorbeischauen und die Brigade deshalb ziemlich zeitig verlassen.«
    Veyrenc krauste die Stirn.
    »Sie hat mir erzählt, sie wolle bei jemandem vorbeischauen? Mir? Aber ich kenne Retancourts Freunde überhaupt nicht.«
    »Sie sprach Ihnen davon, und danach sind Sie zusammen in den Konzilsaal hinübergegangen. Denken Sie nach, Lieutenant, Sie sind vielleicht die letzte Person, die sie gesehen hat. Sie haben eine Zigarette geraucht.«
    »Richtig«, sagte Veyrenc und hob die Hand. »Sie hatte Dr. Romain versprochen, bei ihm vorbeizukommen. Sie ginge fast jede Woche zu ihm, sagte sie. Um ihn ein bißchen zu zerstreuen. Sie hielt ihn über die Ermittlungen auf dem laufenden und brachte ihm Fotos, damit er nicht ganz aus der Übung käme.«
    »Fotos wovon?«
    »Fotos von Toten, Kommissar. Die brachte sie ihm.«
    »In Ordnung, Veyrenc, ich verstehe.«
    »Sie sind enttäuscht.«
    »Ich werde Romain trotzdem aufsuchen. Aber er ist total benebelt von seinen Zuständen. Sollte tatsächlich irgendwas Auffälliges zu sehen oder zu hören gewesen sein, wäre er der letzte, der es bemerkt hätte.«
    Adamsberg blieb eine Weile regungslos in dem gepolsterten Krankenhaussessel sitzen. Als die Krankenschwester das Tablett mit dem Abendbrot brachte, legte Veyrenc einen Finger an die Lippen. Seit einer Stunde schlief der Kommissar.
    »Wir wecken ihn nicht auf?« flüsterte die Krankenschwester.
    »Er konnte sich keine fünf Minuten länger auf den Beinen halten. Lassen wir ihm noch zwei Stunden.«
    Veyrenc rief in der Brigade an und prüfte dabei das Speisenangebot auf seinem Tablett.
    »Wer ist am Apparat?« fragte er.
    »Gardon«, sagte der Brigadier. »Sind Sie’s, Veyrenc?«
    »Ist Danglard nicht mehr da?«
    »Doch, aber so gut wie nicht zu gebrauchen. Retancourt ist verschwunden, Lieutenant.«
    »Ich weiß. Kann ich mal die Telefonnummer von Dr. Romain haben?«
    »Gebe ich Ihnen sofort. Wir hatten vor, Sie morgen zu besuchen. Brauchen Sie irgendwas Spezielles?«
    »Essen, Brigadier.«
    »Das trifft sich gut, es kommt nämlich Froissy.«
    Wenigstens eine gute Nachricht, dachte Veyrenc und wählte die Nummer des Doktors. Eine ziemlich abwesende Stimme antwortete ihm. Veyrenc kannte ihn nicht, aber Romain hatte mit Sicherheit Zustände.
    »Kommissar Adamsberg kommt um einundzwanzig Uhr zu Ihnen, Doktor. Er hat mich beauftragt, Ihnen Bescheid zu sagen.«
    »Ja, gut«, sagte Romain, dem dies vollkommen gleichgültig zu sein schien.
    Kurz nach zwanzig Uhr öffnete Adamsberg die Augen.
    »Scheiße«, sagte er, »warum haben Sie mich schlafen lassen, Veyrenc?«
    »Sogar Retancourt hätte Sie schlafen lassen. Nur dem schlummernden Mann wird der Sieg zuteil.«

44
    Mit schleppendem Schritt kam Dr. Romain an die Tür, und genauso lief er auch zu seinem Sessel zurück, als schlurfe er auf Skiern über flaches Gelände.
    »Frag mich bloß nicht, wie’s mir geht, Adamsberg, das nervt mich. Willst du was trinken?«
    »Einen Kaffee, gern.«
    »Dann mach dir selbst einen, ich kann mich nicht dazu aufraffen.«
    »Leistest du mir in der Küche Gesellschaft?«
    Romain seufzte und schlurfte auf Skiern zu dem Stuhl in seiner Küche.
    »Willst du auch eine Tasse?« fragte Adamsberg.
    »Soviel du willst, nichts hält mich vom Schlafen ab, zwanzig von vierundzwanzig Stunden. Allerhand, was? Da bleibt einem nicht mal Zeit, sich zu langweilen, mein Lieber.«
    »Wie der Löwe. Du weißt doch, daß Löwen zwanzig Stunden am Tag schlafen?«
    »Haben die auch Zustände?«
    »Nein, das ist von Natur aus so. Und trotzdem ist er der König der Tiere.«
    »Aber ein entlassener König. Du hast mich ersetzen lassen, Adamsberg.«
    »Ich hatte keine andere Wahl.«
    »Nein«, sagte Romain und schloß die Augen.
    »Schlagen deine Medikamente nicht an?« fragte der Kommissar und besah sich den Haufen Schachteln auf dem

Weitere Kostenlose Bücher