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Die dritte Jungfrau

Die dritte Jungfrau

Titel: Die dritte Jungfrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fred Vargas
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apathischer Lappen.«
    »Die Kugel«, verteidigte Adamsberg das Tier, »ist ein apathischer Lappen, der Retancourt liebt. Die Kugel lebt nur noch dafür, sie wiederzufinden. Die Kugel ist ein Tier. Mit einer Nase, einem Spürsinn, einem Hirn, groß wie eine Aprikose, und einem Gedächtnis, in dem hunderttausend Gerüche gespeichert sind.«
    »Hunderttausend?« murmelte Lamarre skeptisch. »Die Kugel soll sich hunderttausend Gerüche eingeprägt haben?«
    »Natürlich. Und selbst wenn sie sich nur einen gemerkt hätte, so wäre es der von Retancourt.«
    »Ich habe die Katze«, sagte Justin, und beim Anblick des Tieres, das wie ein zusammengefalteter Scheuerlappen auf dem Unterarm des Lieutenants hing, packte jeden der Zweifel.
    Nur Adamsberg, der in persönlicher Hochgeschwindigkeit durch den Konzilsaal lief, ließ nicht ab von seiner Idee und gab seinen Gefechtsplan aus.
    »Froissy, befestigen Sie einen Sender am Hals der Katze. Sie haben die Ausrüstung doch noch nicht zurückgegeben?«
    »Nein, Kommissar.«
    »Dann los. Geben Sie Gas, Froissy. Justin, stellen Sie zwei Wagen und zwei Motorräder auf die Frequenz ein. Mordent, informieren Sie die Präfektur, sie sollen uns einen Hubschrauber in den Hof schicken, mit allem nötigen Gerät. Voisenet und Maurel, fahren Sie alle Autos weg, damit er landen kann. Wir nehmen einen Arzt mit, ein Krankenwagen soll hinterherfahren.«
    Adamsberg sah auf seine Uhren.
    »In einer Stunde sollten wir weg sein. Ich, Danglard und Froissy im Hubschrauber. Zwei Teams in den Wagen, Kernorkian-Mordent, Justin-Voisenet. Nehmen Sie was zu essen mit, wir halten unterwegs nicht an. Zwei Mann auf die Motorräder, Lamarre und Estalère. Wo ist Estalère?«
    »Oben«, sagte Lamarre und zeigte zur Decke.
    »Holen Sie ihn runter«, sagte Adamsberg, als handele es sich um ein Paket.
     
    Eine wuselnde Geschäftigkeit setzte ein, Gepolter und kurze Befehle, nervöse Zurufe, eiliges Getrappel im Treppenhaus – die Brigade verwandelte sich in ein Schlachtfeld vor dem Angriff. Ein Schnaufen, Schniefen, lärmendes Herumgerenne, übertönt vom Brummen der Motoren von vierzehn Wagen, die nach und nach aus dem großen Hof gefahren wurden, um Platz zu schaffen für den Helikopter. Die alte, hölzerne Treppe, die ins obere Stockwerk führte, besaß in der Biegung eine Stufe, die zwei Zentimeter niedriger war als die anderen. Zu Beginn des Brigadelebens hatte diese Abweichung zahlreiche Stürze verursacht, doch schließlich hatte sich jeder darauf eingestellt. Nur an diesem Morgen stolperten zwei Männer, Maurel und Kernorkian, bei ihrem hektischen Hinundherrennen wieder einmal über die Stufe.
    »Was machen die denn da?« fragte Adamsberg, als er den Krach im oberen Stockwerk hörte.
    »Die brechen sich auf der Treppe die Knochen«, meinte Mordent. »Der Hubschrauber setzt in einer Viertelstunde auf. Estalère kommt runter.«
    »Hat er was gegessen?«
    »Nicht seit gestern. Er hat da geschlafen.«
    »Verpflegen Sie ihn. Suchen Sie was in Froissys Spind.«
    »Wozu brauchen Sie Estalère überhaupt?«
    »Er ist der Fachmann in Sachen Retancourt, ungefähr so wie die Katze.«
    »Stimmt, Estalère hatte es gesagt«, bestätigte Danglard. »Daß sie nach irgend etwas suche, irgend etwas Geistigem. «
    Ein wenig zitternd näherte sich der junge Brigadier der Gruppe. Adamsberg legte ihm die Hand auf die Schulter.
    »Sie ist tot«, sagte Estalère mit hohler Stimme. »Normalerweise müßte sie längst tot sein.«
    »Normalerweise, ja. Aber Violette ist nicht normal.«
    »Aber sie ist sterblich.«
    Adamsberg biß sich auf die Lippen.
    »Warum nehmen wir den Hubschrauber?« fragte Estalère.
    »Weil Die Kugel keiner Straße folgen wird. Sie wird durch Häuser und über Höfe laufen, quer über Landstraßen, durch Felder und Wälder. Vom Auto aus können wir ihr nicht folgen.«
    »Retancourt ist weit weg«, sagte Estalère. »Ich spüre sie nicht mehr. Die Kugel wird diesen ganzen langen Weg nicht schaffen. Sie hat keine Muskeln, sie wird unterwegs zusammenklappen.«
    »Essen Sie was, Brigadier. Fühlen Sie sich stark genug, das Motorrad zu fahren?«
    »Ja.«
    »Sehr gut. Füttern Sie auch die Katze. Ausgiebig.«
    »Es gibt noch eine andere Möglichkeit«, sagte Estalère mit ausdrucksloser Stimme. »Es ist gar nicht mal sicher, daß Violette etwas begriffen hat. Es ist gar nicht mal sicher, daß die Irre sie entführt hat, um sie zum Schweigen zu bringen.«
    »Wozu dann?«
    »Ich glaube, sie ist noch Jungfrau«,

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