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Die dritte Jungfrau

Die dritte Jungfrau

Titel: Die dritte Jungfrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fred Vargas
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Tisch.
    »Das sind Aufputschmittel. Die wecken mich für eine Viertelstunde auf, gerade lang genug, damit ich weiß, welcher Tag heute ist. Welcher Tag ist heute?«
    Der Mediziner redete mit teigiger Stimme, die auf den Vokalen noch langsamer wurde, als bremste ein Stock zwischen den Speichen seine Aussprache.
    »Heute ist Donnerstag. Und Freitagabend, vor sechs Tagen also, hat Violette Retancourt dich besucht. Erinnerst du dich daran?«
    »Ich habe nicht den Verstand verloren, nur meine Energie. Und jegliche Lust auf irgendwas.«
    »Aber Retancourt bringt dir Sachen, die dir immerhin Vergnügen bereiten. Fotos von Leichen.«
    »Stimmt«, sagte Romain lächelnd. »Sie ist wirklich zuvorkommend.«
    »Sie weiß, was gefällt«, sagte Adamsberg und schob eine Schale Kaffee zu ihm hinüber.
    »Du scheinst ziemlich fertig zu sein, mein Lieber«, diagnostizierte der Mediziner. »Körperliche und geistige Erschöpfung.«
    »Du hast noch immer einen guten Blick. Ich stecke in einer entsetzlichen Ermittlung, die mir mehr und mehr entgleitet, ich werde von einem Schatten verfolgt, ich habe eine Nonne im Haus und einen neuen Lieutenant in der Brigade, in dem die Vergangenheit schmort und der darauf wartet, daß er sich endlich an mir rächen kann. Eine ganze Nacht habe ich damit zugebracht, ihn in letzter Minute vor einer Vergeltungsaktion zu retten. Und am darauffolgenden Tag erfahre ich, daß Retancourt sich in Luft aufgelöst hat.«
    »In Luft aufgelöst?«
    »Sie ist verschwunden, Romain.«
    »Ich habe schon verstanden, mein Lieber.«
    »Hat sie irgendwas zu dir gesagt am letzten Freitag? Etwas, das uns weiterhelfen könnte? Hat sie dir ein Problem anvertraut?«
    »Hat sie nicht. Ich weiß wirklich nicht, welches Problem eine Violette Retancourt erschüttern könnte, und je mehr ich darüber nachdenke, desto mehr sage ich mir, daß ich die Lösung meiner Zustände ihr hätte anvertrauen sollen. Nein, mein Lieber, wir haben ein bißchen gefachsimpelt. Na ja, wir haben so getan. Wenn’s hoch kommt, halte ich eine Dreiviertelstunde durch, dann nicke ich unwiderruflich ein.«
    »Hat sie dir von der Krankenschwester erzählt? Dem Todesengel?«
    »Ja, sie hat mir die ganze Sache erzählt, auch das mit den Grabschändungen. Sie kommt oft, weißt du. Ein Goldmädel. Sie hat mir sogar einen Satz Fotos dagelassen, damit ich eine Beschäftigung habe, für den Fall, daß.«
    Romain streckte einen kraftlosen Arm nach dem Wust aus, der den Küchentisch bedeckte, und zog einen Packen hervor, den er zu Adamsberg hinüberschob. Großformatige Farbfotos, auf denen die Gesichter von La Paille und Diala zu sehen waren, Detailaufnahmen ihrer Wunden am Hals und der Einstichspuren in den Ellenbeugen sowie Bilder von den zwei Leichen in Montrouge und Opportune. Adamsberg verzog das Gesicht beim Anblick der beiden letzten und schob sie unter den Stapel.
    »Erstklassige Abzüge, wie du siehst. Retancourt verwöhnt mich. Wirklich eine gräßliche Sache, in der du da steckst«, fügte der Mediziner hinzu und klopfte auf den Stapel mit den Fotos.
    »Das habe ich auch schon gemerkt, Romain.«
    »Nichts ist schwieriger, als solche Verrückten zu schnappen, die methodisch vorgehen, jedenfalls solange man ihre Idee nicht begriffen hat. Und da ihre Idee die Idee eines Verrückten ist, rennt man immer nur hinterher.«
    »Hast du das etwa zu Retancourt gesagt? Hast du sie entmutigt?«
    »Ich würde es nicht wagen, deinen Lieutenant zu entmutigen.«
    Der Kommissar sah, wie Romains Augenlider zu flattern begannen, und goß ihm sofort Kaffee in seine Schale.
    »Gib mir auch noch zwei Aufputschpillen. Die gelbrote Schachtel.«
    Adamsberg schüttete zwei Kapseln in seine hohle Hand, und der Mediziner schluckte das Ganze hinunter.
    »O. K.«, sagte Romain. »Wo waren wir stehengeblieben?«
    »Was du zu Retancourt gesagt hast, als du sie zum letztenmal gesehen hast.«
    »Was ich dir sage. Die Mörderin, nach der du suchst, ist eine echte Verrückte, außerordentlich gefährlich.«
    »Würdest du auch sagen, es ist eine Frau?«
    »Natürlich. Darin ist Ariane eine Meisterin. Du kannst ihr blind vertrauen.«
    »Ich kenne die verrückte Idee der Mörderin, Romain. Sie will die absolute Macht, die göttliche Kraft, das ewige Leben. Hat dir Retancourt das nicht gesagt?«
    »Doch, sie hat mir die alte Medikation vorgelesen. Genauso ist es«, sagte Romain und pochte wieder auf die Fotos.
    »Das Lebendige von Jungfrauen, damit hast du ins Schwarze getroffen.«
    »Das

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