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Die dritte Jungfrau

Die dritte Jungfrau

Titel: Die dritte Jungfrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fred Vargas
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Villemot wegen einer Spur Moos auf einem Stein zu Fall gebracht hatte, nun auch noch sein Gebiet an sich riß. Seine Männer würden den Hof bewachen, und nicht einer von Adamsbergs Kerlen würde einen Fuß dahin setzen. Zudem hatte sich dieser Adamsberg zu der Forderung erdreistet, die sich ablösenden Beamten sollten ausgeruht in die Überwachung gehen. Quatsch. Für solchen Unsinn würde er seine Mannschaft nicht hergeben. Er schickte seine Brigadiere nach ihrem normalen Arbeitstag zu Francine, mit dem Auftrag, dort zu essen und sich dann ohne große Bedenken schlafen zu legen.
    In der Nacht des dritten Mai, um drei Uhr fünfunddreißig, waren in den Zimmern von Francine und Brigadier Grimal nur die Klopfkäfer bei der Arbeit; die Anwesenheit eines bewaffneten Mannes im Haus bremste sie offenbar in keiner Weise, und so fraß sich jeder einen Tausendstelmillimeter weiter durchs Holz. Auf das Quietschen der Tür des Wirtschaftsraums hinter der Küche reagierten sie nicht, denn Klopfkäfer sind taub. Grimal, der im Zimmer des verstorbenen Vaters untergebracht war, wo er unter einem purpurnen Federbett lag, richtete sich in der Dunkelheit auf. Er war außerstande, das Geräusch, das ihn aufgeweckt hatte, zu orten, auch wußte er nicht zu sagen, ob er seine Waffe rechts oder links neben das Bett gelegt hatte, ob auf die Kommode oder den Fußboden. Auf gut Glück tastete er das Nachtschränkchen ab, durchquerte das Zimmer in T-Shirt und Slip und öffnete die Tür zwischen seinem und Francines Zimmer. Mit leeren Händen sah er, wie ein grauer Schatten auf ihn zukam, ein langer, ungewöhnlich stiller und schleppender Schatten, der seinen Gang nicht einmal unterbrach, als er die Tür aufgehen sah. Der Schatten lief nicht auf normale Weise, er rutschte und wankte, glitt über den Boden in einer unbestimmbaren Körperhaltung, doch unaufhaltsam in seinem Vormarsch. Grimal hatte gerade noch Zeit, Francine wachzurütteln, wobei er nicht wußte, ob er sie retten oder sie um Hilfe rufen wollte.
    »Der Schatten, Francine! Steh auf! Lauf!«
    Francine schrie, und der entsetzte Grimal näherte sich der grauen Gestalt, um die Flucht der jungen Frau zu decken. Devalon hatte ihn jedoch nicht auf einen Angriff vorbereitet, und mit seinem letzten Gedanken verfluchte er ihn. Möge er in die Hölle fahren, zusammen mit dem Gespenst.

57
    Adamsberg erhielt den Anruf aus der Brigade von Évreux um acht Uhr zwanzig morgens, er saß in dem kleinen, schmuddeligen Café, das der verschlafenen Brasserie der Philosophen die Stirn bot. In Gesellschaft von Froissy, die ihr zweites Frühstück einnahm, trank er einen Kaffee. Brigadier Maurin, der zur Ablösung nach Clancy gekommen war, hatte soeben die Leiche seines Kollegen Grimal entdeckt, durchbohrt von zwei Kugeln in die Brust, eine davon hatte das Herz getroffen. Adamsberg hielt inne und stellte seine Tasse geräuschvoll auf die Untertasse zurück.
    »Und die Jungfrau?« fragte er.
    »Verschwunden. Offenbar hatte sie Zeit, aus dem Fenster des hinteren Zimmers zu klettern. Wir suchen sie.«
    Die Stimme des Mannes bebte von Schluchzern. Grimal war zweiundvierzig Jahre alt und hatte sich stets mehr mit dem Schneiden seiner Hecke befaßt, als der Welt auf den Wecker zu fallen.
    »Und seine Waffe?« fragte Adamsberg. »Hat er geschossen?«
    »Er lag im Bett, Kommissar, er schlief. Seine Waffe lag auf der Kommode des Schlafzimmers, er hatte nicht mal mehr Zeit, sie in die Hand zu nehmen.«
    »Das gibt’s doch nicht«, murmelte Adamsberg. »Ich hatte darum gebeten, daß die Wache vollständig angezogen, hellwach und mit schußbereiter Waffe dasitzt.«
    »Devalon war das vollkommen egal, Kommissar. Er hat uns nach der Arbeit hingeschickt. Wir konnten nicht die ganze Zeit wach bleiben.«
    »Sagen Sie Ihrem Chef, er soll in der Hölle schmoren.«
    »Ich weiß, Kommissar.«
     
    Zwei Stunden später, begleitet von seiner Eskorte, betrat Adamsberg mit zusammengebissenen Zähnen Francines Haus. Man hatte die junge Frau in Tränen aufgelöst gefunden, sie hatte sich in die Scheune der Nachbarn geflüchtet und hockte mit wunden Füßen zwischen zwei Strohballen. Eine graue Gestalt, die wie eine Kerzenflamme wankte, das war alles, was sie gesehen hatte, und den Arm des Gendarmen, der sie aus dem Bett gezogen und in das Hinterzimmer geschoben hatte. Sie rannte schon auf die Landstraße zu, als die beiden Schüsse fielen.
    Der Kommissar legte seine Hand auf Grimals kalte Stirn, wobei er an seinem Kopf

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