Die dritte Jungfrau
niederkniete, um nicht in sein Blut zu treten. Dann wählte er eine Nummer, und eine verschlafene Stimme meldete sich am anderen Ende der Leitung.
»Ariane, ich weiß, es ist noch nicht mal elf Uhr, aber ich brauche dich.«
»Wo bist du?«
»In dem Dorf Clancy in der Normandie. Chemin des Biges, Nummer 4. Beeil dich. Wir fassen nichts an, bevor du kommst.«
»Was sollen diese Techniker hier?« fragte Devalon und deutete auf die kleine Truppe um Adamsberg. »Und wen haben Sie da gerade herbestellt?« fügte er hinzu und zeigte auf das Telefon.
»Meine Gerichtsmedizinerin, Commandant. Und ich rate Ihnen, sich nicht dagegenzustellen.«
»Scheren Sie sich zum Teufel, Adamsberg. Es handelt sich hier um einen meiner Männer.«
»Um einen Ihrer Männer, den Sie in den Tod geschickt haben.«
Adamsberg sah die beiden Gendarmen an, die Devalon begleiteten. Ihre Körperhaltung verriet Zustimmung.
»Bewachen Sie die Leiche Ihres Kollegen«, sagte er zu ihnen. »Solange die Gerichtsmedizinerin nicht hier ist, soll sich ihm niemand nähern.«
»Sie haben meinen Brigadieren keine Anweisungen zu geben. Hier kümmern wir uns einen Dreck um die Bullen aus Paris.«
»Ich bin nicht aus Paris. Und Sie haben keine Brigadiere mehr.«
Adamsberg ging hinaus und hatte Devalons Schicksal augenblicklich vergessen.
»Wie weit sind Sie?«
»Langsam nimmt die Sache Gestalt an«, sagte Danglard. »Die Mörderin ist über die Nordmauer gestiegen und hat die fünfzig Meter Weideland überquert, bis zur Tür des Wirtschaftsraums hinter der Küche, die die morscheste von allen ist.«
»Das Gras steht nicht hoch, es gibt keine Spuren.«
»Es gibt welche auf der Umfassungsmauer, die aus Tonerde besteht. Als sie rübergestiegen ist, ist ein Lehmklumpen heruntergefallen.«
»Und weiter?« fragte Adamsberg, setzte sich hin und stützte die Ellbogen auf den Tisch, so daß er beinahe lag.
»Sie hat die Tür aufgebrochen, ist durch den Wirtschaftsraum hinter der Küche gegangen, dann durch die Küche selbst und danach durch diese Tür in das Schlafzimmer. Auch hier keine Spuren, es liegt nicht ein Körnchen Staub auf den Fliesen. Grimal kam aus dem hinteren Zimmer, der Angriff fand neben Francines Bett statt. Er wurde offenbar aus allernächster Nähe erschossen.«
Devalon hatte den Hof verlassen müssen, weigerte sich aber, das Feld Adamsberg zu überlassen. Wutschnaubend lief er auf der Straße umher und wartete auf die Ankunft des Arztes aus Paris, fest entschlossen, seinen eigenen Gerichtsmediziner für die Autopsie durchzusetzen. Er sah, wie der Wagen ziemlich hart vor dem alten Holzportal parkte und eine Frau ausstieg, die sich zu ihm umdrehte. Und er mußte einen letzten Schock hinnehmen, als er Ariane Lagarde erkannte. Wortlos trat er zurück, grüßte nur stumm.
»Aus allernächster Nähe«, bestätigte Ariane, »zwischen drei Uhr dreißig und vier Uhr dreißig morgens, einer ersten Schätzung nach. Die Schüsse sind während der Rauferei abgegeben worden, beim Zweikampf. Aber er hat nicht die Zeit gehabt, wirklich zu kämpfen. Und ich glaube, er hatte große Angst, sie steht ihm noch immer ins Gesicht geschrieben. Die Mörderin hingegen«, sagte sie und setzte sich neben Adamsberg, »hat einen kühlen Kopf bewahrt und sich die Zeit genommen, ihr Werk zu signieren.«
»Sie hat ihn gepiekt?«
»Ja. In die linke Armbeuge, es ist beinahe unsichtbar. Wir werden das überprüfen, aber ich glaube, es handelt sich wie bei Diala und La Paille um einen fingierten Einstich, ohne daß irgendwas gespritzt wurde.«
»Ihr Markenzeichen«, sagte Danglard.
»Hast du eine Idee, was ihre Größe anbelangt?«
»Ich muß die Flugbahn der Kugeln untersuchen. Aber auf den ersten Blick ist es kein großer Mensch. Auch die Waffe ist kein großes Kaliber. Unauffällig, tödlich.«
Mordent und Lamarre kamen aus dem Schlafzimmer zurück.
»So ist es, Kommissar«, sagte Mordent. »Während des Kampfes müssen sie sich mit Füßen getreten und gegeneinandergestemmt haben. Grimal war barfuß, er hat keine Spuren hinterlassen. Sie schon. Eine winzige nur, aber es gibt eine leichte blaue Spur.«
»Sind Sie sicher, Mordent?«
»Wenn man nicht danach sucht, ist es nicht erkennbar, aber wenn man damit rechnet, ist es unbestreitbar. Sehen Sie es sich selbst an, nehmen Sie den Fadenzähler. Auf dem alten Fliesenboden hier sieht man’s nicht so leicht.«
Unter der zusätzlichen Beleuchtung, die der Techniker herangeschafft hatte, studierte Adamsberg, den
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