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Die dritte Jungfrau

Die dritte Jungfrau

Titel: Die dritte Jungfrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fred Vargas
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Angreifer von kleiner Statur hin. Aber es ist natürlich immer möglich, zu tricksen und sie extra so aussehen zu lassen. Ein durchschnittlich großer Mann hätte seinen Schlag durchaus vorausberechnen und seinen Arm dementsprechend senken können, damit die Wunden waagerecht ausfielen. Unter der Bedingung, daß er sich sehr gut auskannte.«
    »Die Spritze, die in der Lagerhalle liegengelassen wurde, das war schon zuviel«, sagte Adamsberg. »Ich hätte längst reagieren müssen.«
    »Ein Mann«, sagte Danglard mit mutloser Stimme. »Also müssen wir mit allem noch mal von vorn anfangen. Mit allem.«
    »Das wird nicht viel erbringen, Danglard.«
    Adamsberg sah, wie im Blick seines Mitarbeiters die Spur eines raschen und planvollen Gedankens aufzuckte, gefolgt von einer traurigen Erschlaffung. Er gab ihm ein kurzes Zeichen der Zustimmung. Danglard wußte, genau wie er.

58
    Adamsberg und Danglard saßen in ihrem geparkten Wagen und sahen zu, wie die Scheibenwischer den Platzregen wegschoben, der auf die Windschutzscheibe niederging. Adamsberg liebte das gleichmäßige Geräusch der Wischer, den Kampf, den sie ächzend gegen die Sintflut führten.
    »Ich glaube, wir sind uns einig, Capitaine«, sagte Adamsberg.
    »Commandant«, berichtigte Danglard mit düsterer Stimme.
    »Um uns mit Sicherheit auf die Fährte der Krankenschwester zu lotsen, mußte der Mörder viel über mich wissen. Er mußte wissen, daß ich sie verhaftet hatte, mußte wissen, daß ihre Flucht mich treffen würde. Auch mußte er die Ermittlung Schritt für Schritt verfolgen können. Mußte darüber informiert sein, daß wir nach blauen Schuhen forschten, nach der Spur ihrer gewichsten Sohlen. Er mußte über Retancourts Pläne Bescheid wissen. Mußte meinen Untergang wollen. Er hat uns alles geliefert, die Spritze, die Schuhe, das Skalpell, die Schuhcreme. Eine ungeheure Täuschung, Danglard, ausgeführt von einem intelligenten Kopf, mit großem Geschick.«
    »Von einem Mann aus der Brigade.«
    »Ja«, sagte Adamsberg traurig und warf sich in seinen Sitz zurück. »Von einem Typ aus unseren eigenen Reihen, einem schwarzen Steinbock aus den Bergen.«
    »Was haben Steinböcke damit zu tun?«
    »Nicht weiter wichtig, Danglard.«
    »Ich will es einfach nicht glauben.«
    »Wir haben auch nicht geglaubt, daß ein Knochen im Schweinerüssel steckt. Und es steckt einer drin. Genauso wie es einen Knochen in der Brigade gibt, Danglard. Mitten in ihrem Herzen.«
    Der Regen ließ nach, Adamsberg stellte die Scheibenwischer auf einen langsameren Rhythmus ein.
    »Ich hatte Ihnen ja gesagt, er lügt«, sagte Danglard nach einer Pause. »Kein Mensch hätte den Text aus dem De reliquis behalten können, ohne ihn vorher schon einmal gelesen zu haben. Er kannte die Medikation auswendig.«
    »Warum hätte er sie uns dann sagen sollen?«
    »Aus purer Provokation. Er hält sich für unbesiegbar.«
    »Das am Boden liegende Kind«, murmelte Adamsberg. »Der verlorene Weinberg, das Elend, die Jahre der Demütigung. Ich habe ihn gekannt, Danglard. Die Mütze tief ins Gesicht gezogen, um seine Haare zu verbergen, das Hinkebein, das Rot über der Stirn, wie er immer dicht an den Mauern entlanglief, unter dem Spottgelächter der anderen.«
    »Er rührt Sie immer noch.«
    »Ja.«
    »Aber es ist das Kind, das Ihnen nahegeht. Doch so sehr man es auch verbogen hat, es ist ein Erwachsener aus ihm geworden. Und gegen Sie, den kleinen Chef von einst, den Verantwortlichen für seine Tragödie, kehrt er nun das Schicksal, wie er selbst in Versen sagen würde. Er greift in das Rad des Schicksals, dreht es. Jetzt sollen Sie fallen, während er den höchsten Platz erobert. Er ist das geworden, was er selbst den ganzen Tag deklamiert: ein Racinescher Held, gefangen in den Stürmen von Haß und Ehrgeiz, der den Tod der anderen und die bevorstehende eigene Krönung in Szene setzt. Sie wußten von Anfang an, warum er hier ist: um Rache zu nehmen für den Krieg zwischen den beiden Tälern.«
    »Ja.«
    »Er hat seinen Plan Akt für Akt ausgeführt, hat Sie in Richtung Irrtum gelenkt und die gesamte Ermittlung zu Fall gebracht. Er hat bereits siebenmal getötet, Fernand, den Dicken Georges, Élisabeth, Pascaline, Diala, La Paille, Grimal. Und beinahe auch Retancourt. Und er wird die dritte Jungfrau umbringen.«
    »Nein. Francine ist in Sicherheit.«
    »Glauben wir. Der Mann ist stark wie ein Pferd. Er wird Francine umbringen, und dann wird er Sie stürzen, wenn erst die Schande auf Sie gefallen

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