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Die dritte Jungfrau

Die dritte Jungfrau

Titel: Die dritte Jungfrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fred Vargas
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Gleich würde die Dicke keinen Mucks mehr von sich geben, es war Zeit, daß sie ein für allemal das Maul hielt. Retancourts nicht voraussehbare Widerstandskraft war ein schwerer Schlag gewesen. Genau wie diese verdammten Corneille-Verse, die sie vor sich hin gebrabbelt hatte, aber zum Glück hatten die Beamten der Brigade nichts davon verstanden, nicht einmal der hochgelehrte Danglard und erst recht nicht dieser Hohlkopf von Adamsberg. Retancourt hingegen war gefährlich, weil ebenso schlau wie mächtig. Doch an diesem Abend war es eine doppelte Dosis Novaxon, und in ihrem derzeitigen Zustand würde sie beim ersten Schluckauf krepieren.
    Der Schatten lächelte, als er an Adamsberg dachte, der um diese Zeit seine läppische Falle im Gasthof von Haroncourt aufzog. Eine Idiotenfalle, die über ihm selbst zuschnappen würde; er wäre für immer blamiert und würde in Kummer versinken. In dem verzweifelten Chaos, das auf den Tod der Dicken folgen würde, käme man problemlos an die verfluchte Jungfrau heran, die so haarscharf entkommen war. Eine richtige Trulle, die man wie eine kostbare Vase hütete. Das war der einzige Fehler gewesen. Unvorstellbar, daß jemand draufkommen könnte, daß im Herzen des Hirschs ein Kreuz steckte. Undenkbar, daß ausgerechnet Adamsbergs ungebildeter und unlogischer Verstand eine Verbindung zwischen den Hirschen und den Jungfrauen, zwischen Pascalines Kater und dem De reliquis erkennen würde. Aber irgendwie hatte er es verflucht noch mal geschafft, und auch die dritte Jungfrau hatte er schneller lokalisiert als erwartet. Pech war auch die Gelehrtheit des Commandant Danglard, die ihn dazu bewogen hatte, das Buch beim Pfarrer einzusehen, er hatte sogar die kostbare Ausgabe von 1663 erkannt. Daß das Schicksal einem ausgerechnet solche Bullen in den Weg stellen mußte.
    Doch waren das letztendlich keine schwerwiegenden Hindernisse, Francines Tod war nur eine Frage von Wochen, es blieb genug Zeit. Im Herbst wäre die Mixtur fertig, weder die Zeit noch die Widersacher konnten dagegen etwas ausrichten.
    Die Stationshilfen verließen die Küche auf der Etage, die Krankenschwestern gingen von Tür zu Tür und wünschten gute Nacht, wir werden vernünftig sein, wir werden schlafen. Die Nachtbeleuchtung auf dem Flur schaltete sich ein. Jetzt mußte man noch eine gute Stunde verstreichen lassen, bis die Angstzustände der schlaflosen Patienten sich gelegt hätten. Gegen elf Uhr hätte die Dicke ihr Leben ausgehaucht.

61
    Der Hinterhalt, den Adamsberg ausgeheckt hatte, war, so dachte er, von kindlicher Einfachheit, und er war sehr zufrieden damit. Natürlich war es eine klassische Falle, aber eine sichere, die er mit einem kleinen Kniff versehen hatte, auf den er zählte. Er saß hinter der Tür des Zimmers und wartete, nun schon die zweite Nacht. Drei Meter neben ihm hatte Danglard sich postiert, ein hervorragender Angreifer, so unwahrscheinlich das auch anmutete. Sein weichlicher Körper gab beim Einsatz nach wie ein Gummiband. An diesem Abend trug Danglard einen besonders eleganten Anzug. Seine kugelsichere Weste störte ihn, aber Adamsberg hatte verlangt, daß er sie anlegte. Rechts von ihm stand Estalère, der im Dunkeln ungewöhnlich gut sehen konnte, genau wie Die Kugel.
    »Es wird nicht funktionieren«, sagte Danglard, der bei Finsternis noch pessimistischer wurde.
    »Doch«, entgegnete Adamsberg zum viertenmal.
    »Es ist lächerlich. Haroncourt, der Gasthof. Viel zu plump, er wird die Sache durchschauen.«
    »Nein. Seien Sie endlich still, Danglard. Und Sie, Estalère, passen Sie auf. Sie atmen zu laut.«
    »Verzeihung«, sagte Estalère. »Im Frühjahr bekomme ich immer Heuschnupfen.«
    »Dann schnauben Sie sich richtig aus, und danach keinen Mucks mehr.«
    Adamsberg stand ein letztes Mal auf und zog den Fenstervorhang zehn Zentimeter weiter zu. Der Grad der Dunkelheit mußte perfekt sein. Der Mörder würde vollkommen lautlos sein, so zumindest hatten ihn der Friedhofswärter von Montrouge, aber auch Gratien und Francine beschrieben. Man hätte nicht die Chance, auf seine Schritte zu lauschen, um sich auf seine Ankunft vorzubereiten. Man mußte ihn sehen, bevor er selbst etwas sehen konnte. Das Dunkel der Ecken, in denen sie sich versteckt hatten, mußte undurchdringlicher sein als der blasse Schein, der von der Tür ausging. Er setzte sich wieder hin und umklammerte den Lichtschalter in seiner Hand. Ein einziger Knopfdruck, sobald der Mörder sich im Zimmer und zwei Meter von der Tür

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