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Die dritte Jungfrau

Die dritte Jungfrau

Titel: Die dritte Jungfrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fred Vargas
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Und trotzdem treten seit Tausenden von Jahren immer wieder Tausende von Kerlen gegeneinander an. Nun, so ähnlich ist es auch hier. Er rennt, ich renne. Es geht nicht darum, etwas Neues zu veranstalten, sondern ihn daran zu hindern, vor uns anzukommen.«
    »Aber der Mörder wird sich sicher denken, daß man ihm diese Art Falle stellen wird.«
    »Natürlich. Aber er rennt trotzdem, denn er hat genau wie ich keine andere Wahl. Auch er versucht nicht, originell zu sein, er versucht, erfolgreich zu sein. Und je primitiver die Falle, desto weniger wird der Mörder sich vor ihr in acht nehmen.«
    »Warum?«
    »Weil er genau wie Sie annimmt, ich würde mir irgendwas Kniffliges ausdenken.«
    »Da ist was dran«, gab Veyrenc zu. »Wenn Sie sich für die simple Methode entscheiden, bringen Sie Francine also wieder nach Hause zurück? Und lassen sie unauffällig beobachten?«
    »Nein. Keiner, der auch nur ein bißchen gesunden Menschenverstand besitzt, würde glauben, daß Francine freiwillig auf den Hof zurückkehrt.«
    »Wo bringen Sie sie dann hin? In ein Hotel in Évreux? Und dann lassen Sie die Information durchsickern?«
    »Nicht ganz. Ich nehme einen Ort, den ich für sicher und geheim halte, den der Mörder jedoch schnell selbst erraten kann, wenn er halbwegs was im Kopf hat. Und das hat er.«
    Veyrenc dachte einen Augenblick nach.
    »Einen Platz, den Sie kennen«, sagte er, indem er laut nachdachte, »einen Ort, der Francine nicht erschrecken darf und den Sie schützen können, ohne daß man auch nur einen Bullen zu Gesicht bekommt.«
    »Zum Beispiel.«
    »Der Gasthof in Haroncourt.«
    »Sehen Sie, das ist nun wahrlich kein Kunststück. In Haroncourt, wo alles begonnen hat, unter dem Schutz von Robert und Oswald. Die sind sehr viel unauffälliger als Polizisten. Bullen erkennt man immer sofort.«
    Veyrenc machte eine zweifelnde Geste, die Adamsberg galt.
    »Selbst ein Bulle, der von seinem Gebirge heruntergerannt ist, ohne sich vorher sein Hemd zugeknöpft und den Nebel aus den Augen gewischt zu haben?«
    »Ja, selbst ich, Veyrenc. Und wissen Sie, warum? Wissen Sie, warum ein Typ, der im Café vor seinem Bier sitzt, nicht so aussieht wie ein Bulle, der im Café vor seinem Bier sitzt? Weil der Bulle arbeitet und der andere nicht. Weil der normale Typ bloß vor sich hin denkt, döst, phantasiert. Während der Bulle überwacht. So kommt es, daß die Augen des Typs in sein Inneres wegflüchten, wohingegen die Augen des Bullen auf die Außenwelt gerichtet sind. Und diese Blickrichtung ist auffälliger als jedes Dienstabzeichen. Also kein Bulle in der Eingangshalle des Gasthofes.«
    »Nicht schlecht«, meinte Veyrenc und zerdrückte seine Zigarette.
    »Ich hoffe es«, sagte Adamsberg und stand auf.
    »Weshalb sind Sie hergekommen, Kommissar?«
    »Um Sie zu fragen, ob Ihnen neue Einzelheiten eingefallen sind, seitdem Sie das Geschehnis an seinen richtigen Ort gerückt haben, auf die Hochwiese.«
    »Nur eine.«
    »Sagen Sie.«
    »Der fünfte Kerl stand im Schatten des Nußbaums und sah den anderen zu.«
    »Gut.«
    »Er hatte die Hände im Rücken verschränkt.«
    »Ja, und?«
    »Also frage ich mich, was er da in der Hand hielt, was er hinter seinem Rücken versteckte. Vielleicht eine Waffe.«
    »Sie sind ganz nah dran. Denken Sie weiter nach, Lieutenant.«
    Veyrenc sah, wie der Kommissar seine Jacke nahm, von der merkwürdigerweise nur ein Ärmel naß war, sah ihn hinausgehen und die Tür zuschlagen. Er schloß die Augen und lächelte.
     
    Ihr lügt, Seigneur, doch seid Ihr auch verschlagen,
    erkenn ich wohl die Absicht und muß mich ihr versagen.

60
    In einen toten Winkel der Wäschekammer gezwängt, wartete der Schatten, daß die Geräusche des Abends nachließen. Bald würde die Ablösung hier sein, die Krankenschwestern würden durch die Zimmer gehen, die Bettpfannen leeren, das Licht ausschalten und wieder in ihre Nachtquartiere zurückkehren. Ins Krankenhaus Saint-Vincent-de-Paul hineinzukommen war genauso leicht gewesen wie erwartet. Keinerlei Argwohn, nicht eine Frage, nicht einmal von dem Lieutenant, der auf der Etage postiert war und alle halbe Stunde einschlief. Er hatte bloß freundlich gegrüßt und gemeint, es sei alles in Ordnung. Ausgerechnet dieser schläfrige Trottel, besser konnte es gar nicht laufen. Dankbar hatte er eine mit zwei Schlaftabletten präparierte Tasse Kaffee angenommen, so daß man mit Sicherheit bis zum Morgen seine Ruhe hätte. Wenn die Leute einem nicht mißtrauen, wird alles einfach.

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