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Die dritte Jungfrau

Die dritte Jungfrau

Titel: Die dritte Jungfrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fred Vargas
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entfernt befände. Dann würde Estalère den Ausgang versperren, während Danglard seine Waffe in Anschlag brächte. Perfekt. Sein Blick verweilte einen Augenblick auf dem Bett, in dem seelenruhig diejenige schlief, die er beschützte.
     
    Während Francine sich, bestens bewacht, im Gasthof von Haroncourt ausruhte, sah der Schatten hundertsechsunddreißig Kilometer von dort entfernt in Saint-Vincent-de-Paul auf seine Uhr. Um zweiundzwanzig Uhr fünfundfünfzig öffnete er ohne das leiseste Knarren die Tür der Wäschekammer. Die Spritze in der rechten Hand, bewegte er sich langsam vorwärts und sah im Vorbeigehen auf die Zimmernummern. 227, das Zimmer von Retancourt; nachts blieb die Tür offen, da der Schläfer sie bewachte. Der Schatten ging um ihn herum, ohne daß Mercadet sich rührte. Die Masse des Lieutenant unter den Laken war gut zu erkennen, ihr Arm hing aus dem Bett, als böte er sich an.

62
    Adamsberg bekam ihn als erster ins Blickfeld, ohne daß sein Herz auch nur einen Deut schneller schlug. Mit dem Daumen betätigte er den Lichtschalter, Estalère versperrte die Tür, Danglard drückte ihm die Pistole in den Rücken. Der Schatten brachte keinen Schrei heraus, kein Wort, während Estalère ihm rasch die Handschellen anlegte. Adamsberg ging zum Bett hinüber und fuhr Retancourt durchs Haar.
    »Vorwärts«, sagte er.
    Danglard und Estalère schleppten ihre Beute aus dem Zimmer, und Adamsberg schaltete fürsorglich das Licht aus, bevor er ging. Zwei Fahrzeuge aus der Brigade parkten vor dem Krankenhaus.
    »Warten Sie im Büro auf mich«, sagte Adamsberg. »Ich bleibe nicht lange.«
    Punkt Mitternacht klopfte Adamsberg an die Tür von Dr. Romain. Fünf Minuten nach Mitternacht öffnete der Mediziner ihm endlich, bleich und mit wirrem Haar.
    »Bist du verrückt«, sagte Romain. »Was willst du von mir?«
    Der Doktor hielt sich kaum aufrecht, und Adamsberg zog ihn auf seinen Skiern in die Küche, wo er ihn auf denselben Stuhl setzte wie an dem Abend, als sie über das Lebendige der Jungfrau gesprochen hatten.
    »Erinnerst du dich noch, um was du mich gebeten hattest?«
    »Ich habe dich um nichts gebeten«, sagte Romain benommen.
    »Du hattest mich gebeten, ein altes Rezept zu finden, das gegen deine Zustände hilft. Und ich hatte es dir versprochen.«
    Romain zwinkerte und stützte seinen schweren Kopf auf die Hand.
    »Und was hast du gefunden für mich? Etwa Kranichkot? Oder Schweinegalle? Soll ich einem Huhn den Bauch aufschneiden und es mir noch warm auf den Kopf setzen? Ich kenne die alten Rezepte.«
    »Und was hältst du von ihnen?«
    »Wegen solchem Blödsinn weckst du mich auf?« sagte Romain und streckte seine dösige Hand nach der Schachtel mit den Aufputschmitteln aus.
    »Hör mir zu«, sagte Adamsberg und hielt seinen Arm zurück.
    »Dann kipp mir Wasser übern Schädel.«
    Adamsberg wiederholte die Prozedur und rubbelte den Kopf des Mediziners mit dem dreckigen Stoffetzen ab. Dann durchwühlte er die Schubladen auf der Suche nach einem Müllbeutel, den er öffnete und zwischen sich und Romain hielt.
    »Deine Zustände«, sagte er und legte eine Hand auf den Tisch, »sind da drin.«
    »In dem Müllbeutel?«
    »Du baust echt ab, Romain.«
    »Ja.«
    »Da drin«, sagte Adamsberg, wies auf eine gelbrote Schachtel Aufputschpillen und ließ sie in den Müllsack fallen.
    »Laß mir mein Zeug.«
    »Nein.«
    Adamsberg stand auf und öffnete sämtliche herumliegenden Schachteln auf der Suche nach Kapseln.
    »Was ist das hier?« fragte er.
    »Gavelon.«
    »Das sehe ich, Romain. Aber was ist es?«
    »Ein Magensäureblocker. Habe ich immer genommen.«
    Adamsberg legte die Gavelon-Schachteln auf einen Haufen, die Aufputschmittel – Energyl – auf einen anderen und ließ sie kurzerhand in den Müllbeutel fallen.
    »Hast du viel von alldem in dich reingestopft?«
    »Soviel ich konnte. Laß mir mein Zeug.«
    »Dein Zeug, Romain, ist schuld an deinen Zuständen. Sie sind in deinen Kapseln.«
    »Ich weiß ja wohl, was Gavelon ist.«
    »Aber du weißt nicht, was drin ist.«
    »Gavelon, mein Lieber.«
    »Nein, eine verdammte Mischung aus Kranichkot, Schweinegalle und warmem Huhn. Wir werden es untersuchen.«
    »Du baust echt ab, Adamsberg.«
    »Hör mir gut zu, konzentrier dich, so gut du kannst«, sagte Adamsberg und griff erneut nach seinem Handgelenk. »Du hast prima Freunde, Romain. Freundinnen auch, wie Retancourt. Die dir jeden Wunsch von den Augen ablesen und dir jede Arbeit abnehmen, nicht wahr? Weil du

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