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Die dritte Jungfrau

Die dritte Jungfrau

Titel: Die dritte Jungfrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fred Vargas
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Laufen beschwerlicher. Du mußt dich Schritt für Schritt vorwärts tasten, daher auch dieser langsame Gang, diese gleitende, schwankende Bewegung, die alle drei erwähnten.«
    Müde, wie ein Spiegel herumzuwandern, hatte sich Adamsberg wieder an seinen Tisch gesetzt, dann würde er eben nur mit der rechten Schulter der unerreichbaren Tänzerin sprechen.
    »Es sieht so aus«, sagte er, »als habe mich der Zufall auf die Straße nach Haroncourt geführt. Fatum? Schicksal? Nein, du nämlich spieltest das Schicksal. Du hast Camille für dieses Konzert engagieren lassen. Sie hat bis heute nicht begriffen, warum das Orchester aus Leeds sie angerufen hat. Auf diese Weise hast du mich an den Ort gebracht. Von da ab konntest du mich ganz nach Belieben lenken, konntest die Ereignisse verfolgen und an die Stelle des Zufalls treten. Du konntest Hermance bitten, mich kommen zu lassen, um den Friedhof von Opportune zu inspizieren. Konntest sie anschließend bitten, mich nicht mehr unterzubringen, so daß sie nicht zuviel erzählte. Eine Frau wie du verfährt mit der armen Hermance wie mit weichem Ton. Immerhin kennst du dich bestens in der Gegend aus, sie ist die Wiege deiner Kindheit, dort hast du deine Jugend verbracht, zu der du zurückkehren wolltest. Der frühere Pfarrer von Le Mesnil, Pater Raymond, war dein Vetter zweiten Grades. Deine Adoptiveltern haben dich großgezogen auf dem Landsitz Écalart, vier Kilometer von den Reliquien des heiligen Hieronymus entfernt. Und der alte Pfarrer hat sich so sehr um dich gekümmert, hat dir aus seinen alten Büchern vorgelesen, hat dich die Rippen des heiligen Hieronymus berühren lassen, daß die Leute aus der Gegend insgeheim erzählen, du wärst seine Tochter, ›Tochter der Sünde‹, sagen manche. Erinnerst du dich an ihn?«
    »Er war ein Freund der Familie«, erinnerte sich die Gerichtsmedizinerin, wobei sie ihrer Kindheit und der Wand zulächelte, »eine Nervensäge, der mich mit seinem Heiligenkram zu Tode langweilte. Aber ich liebte ihn.«
    »Interessierte er sich für das Rezept aus dem De reliquis? «
    »Ich glaube, er interessierte sich ausschließlich dafür. Und für mich. Er hatte es sich in den Kopf gesetzt, dieses Zeug zuzubereiten. Er war ein alter Narr, mit seinen Marotten. Ja, er war schon ein ziemlich sonderbarer Mensch. Zum Beispiel hatte er einen Penisknochen.«
    »Der Pfarrer?« fragte Estalère verwirrt.
    »Er hatte ihn dem Kater des Vikars abgenommen«, sagte Ariane und lachte beinahe. »Und dann wollte er Hirschknochen.«
    »Was für Knochen?«
    »Den Knochen aus dem Herzen.«
    »Du sagtest doch, du wüßtest nichts davon.«
    »Ich nicht, aber er schon.«
    »Und, hat er sie bekommen? Hat er das Rezept mit dir zubereitet?«
    »Nein. Der arme Mann ist von dem zweiten Hirsch zerfetzt worden. Eine Geweihsprosse hat ihn durchbohrt, und er ist verblutet.«
    »Und nach ihm wolltest du wieder damit anfangen?«
    »Womit anfangen?«
    »Mit dem Rezept, der Mixtur.«
    »Welcher Mixtur? Der Grenaille?«
    Ende der Schleife, dachte Adamsberg und zeichnete Achten auf sein Blatt, wie er es mit dem glühenden Zweig getan hatte. Lange schwieg er.
    »Diejenigen, die behaupten, Raymond sei mein Vater gewesen, sind Schwachköpfe«, fing Ariane auf unerwartete Weise wieder an. »Fährst du ab und zu nach Florenz?«
    »Nein, ich fahre ins Gebirge.«
    »Nun, wenn du hinfahren würdest, sähest du zwei rote Wesen, die mit Schuppen bedeckt sind, mit Pusteln, Hoden und herunterhängenden Zitzen.«
    »Sicher, wieso nicht.«
    »Es gibt kein ›Wieso nicht‹, Jean-Baptiste. Du würdest sie sehen, das ist alles.«
    »Ja und? Was würde passieren?«
    »Nichts. Sie finden sich auf einem Gemälde von Fra Angelico. Du wirst ja wohl nicht mit einem Gemälde streiten wollen, oder?«
    »Nein, einverstanden.«
    »Das sind meine Eltern.«
    Ariane lächelte unbestimmt zur Wand hinüber.
    »Dann laß mich gefälligst in Ruhe mit ihnen, bitteschön.«
    »Ich habe dir doch gar nichts über sie erzählt.«
    »Sie sind dort, also laß sie auch dort.«
    Adamsberg sah kurz zu Danglard, der ihm mit mehreren Zeichen zu verstehen gab, daß es Fra Angelico tatsächlich gebe und auf seinen Gemälden wirklich pustelübersäte Gestalten zu sehen seien, daß allerdings nichts darauf hindeute, daß der Maler damit Arianes Eltern habe darstellen wollen, immerhin hatte er im 15. Jahrhundert gelebt.
    »Und an Opportune, erinnerst du dich daran?« begann Adamsberg wieder nach einer Pause. »Du kennst dort alle Leute

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