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Die dritte Jungfrau

Die dritte Jungfrau

Titel: Die dritte Jungfrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fred Vargas
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alten Lucio und fragte sich, ob Diala und La Paille zur Stunde wohl versuchten, einen unvollendeten Stich auf ihrem toten Arm zu kratzen.

10
    Am Morgen des 21. März nahm sich der Kommissar die Zeit, jeden Baum und jedes Zweiglein auf dem neuen Weg, der ihn von seinem Haus zum Gebäude der Brigade führte, zu begrüßen. Selbst im Regen, der sich seit dem Schauer auf Jeanne d’Arc kaum gelegt hatte – das Datum verdiente diese Mühe und diesen Respekt. Und selbst wenn die Natur wegen unbekannter Verabredungen in diesem Jahr spät dran war, es sei denn, sie lag noch im Bett, wie Danglard an jedem dritten Tag. Die Natur ist kapriziös, dachte Adamsberg, man kann nicht von ihr verlangen, daß am Morgen des 21. März alles exakt zur Stelle ist, bei der astronomischen Anzahl von Knospen, um die sie sich zu kümmern hat, ganz zu schweigen von den Larven, Wurzeln und Keimen, die man nicht sieht, die ihr aber bestimmt eine Wahnsinnsenergie abverlangten. Im Vergleich dazu war die nicht enden wollende Arbeit der Mordbrigade ein lächerliches Zweiglein, der reinste Witz. Ein Witz, der Adamsberg guten Gewissens die Zeit auf der Straße verbummeln ließ.
    Während der Kommissar mit langsamen Schritten den großen Gemeinschaftsraum, Konzilsaal genannt, durchquerte, um eine Forsythienblüte auf die Tische der sechs weiblichen Beamten der Brigade zu legen, stürzte Danglard ihm schon entgegen. Der lange Körper des Commandant, der einst wie eine Wachskerze in der Hitze geschmolzen zu sein schien, mit seinen hängenden Schultern, dem schlaffen Oberkörper und den krummen Beinen, war für schnelles Gehen nicht geeignet. Interessiert schaute Adamsberg zu, wie er sich auf langen Strecken bewegte, wobei er sich stets fragte, ob er wohl eines Tages eines seiner Glieder im Lauf verlieren würde.
    »Wir haben Sie gesucht«, sagte Danglard keuchend.
    »Ich habe jemandem die Ehre erwiesen, Capitaine, und nun huldige ich.«
    »Verdammt, es ist schon elf Uhr durch.«
    »Bei den Toten kommt es nicht auf zwei Stunden an. Ich treffe mich mit Ariane erst um sechzehn Uhr. Morgens schläft die Gerichtsmedizinerin. Vergessen Sie das bloß nie.«
    »Es geht nicht um die Toten, es geht um den Neuen. Er hat zwei Stunden auf Sie gewartet. Und das nun schon zum dritten Mal. Aber wenn er dann kommt, läßt man ihn auf seinem Stuhl sitzen, als wäre er Luft.«
    »Tut mir leid, Danglard. Ich hatte eine dringende Verabredung, die seit einem Jahr getroffen war.«
    »Mit?«
    »Mit dem Frühling, der ist empfindlich. Wenn man ihn vernachlässigt, ist er imstande, davonzulaufen und vor sich hin zu schmollen. Und dann versuchen Sie mal, ihn zurückzuholen. Während der Neue wiederkommen wird. Welcher Neue übrigens?«
    »Verdammt, der neue Lieutenant, der Favre ersetzt. Zwei Stunden Wartezeit.«
    »Wie ist er?«
    »Rothaarig.«
    »Sehr gut. Mal was anderes.«
    »Eigentlich ja dunkelhaarig, aber mittendrin rote Strähnen. Irgendwie zebraartig. Ziemlich einmalig.«
    »Um so besser«, sagte Adamsberg und legte seine letzte Blüte auf den Tisch von Violette Retancourt. »Wenn schon, dann sollen die Neuen auch wirklich neu sein.«
    Danglard schob seine weichen Hände in die Taschen seiner eleganten Jacke und sah zu, wie sich der riesige Lieutenant Retancourt die kleine gelbe Blüte ins Knopfloch steckte.
    »Der hier aber scheint mir ziemlich neuartig zu sein, zu sehr vielleicht«, sagte er. »Haben Sie seine Unterlagen gelesen?«
    »Hier und da. Jedenfalls haben wir ihn ein halbes Jahr lang zwangsläufig auf Probe bei uns.«
    Bevor Adamsberg die Tür zu seinem Büro aufstieß, hielt Danglard ihn am Arm zurück.
    »Er ist nicht mehr hier. Er ist wieder auf seinen Posten zurückgegangen, in den Verschlag.«
    »Wieso beschützt ausgerechnet er Camille? Ich hatte dafür doch erfahrene Beamte empfohlen.«
    »Weil nur er es in diesem verdammten Kabuff auf der Treppe aushält. Die anderen können nicht mehr.«
    »Und da er neu ist, haben die anderen ihm das aufgedrückt.«
    »So ist es.«
    »Wie lange schon?«
    »Drei Wochen.«
    »Schicken Sie ihm Retancourt. Sie ist ganz bestimmt fähig, in dem Verschlag durchzuhalten.«
    »Sie hatte sich ja auch gemeldet dafür. Aber da gibt’s ein Problem.«
    »Ich wüßte nicht, welches Problem Retancourt hindern könnte.«
    »Ein einziges. Sie kann sich da drin nicht rühren.«
    »Zu dick«, sagte Adamsberg nachdenklich.
    »Zu dick«, bestätigte Danglard.
    »Genau dieses magische Kaliber hat mich gerettet, Danglard.«
    »Zweifellos,

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