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Die dritte Jungfrau

Die dritte Jungfrau

Titel: Die dritte Jungfrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fred Vargas
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Estalère sie empfand – Retancourt hinterhergerannt und hatte ihr seine Last in die Hände gelegt.
    Bevor sie ihren Bericht gab, löste Retancourt ihren kurzen Pferdeschwanz und band ihn wieder zusammen, das wohl einzige Überbleibsel ihrer Schüchternheit als Kind, dachte Adamsberg.
    »Emilio zufolge – das ist der Wirt des Cafés – stimmt es, daß Diala und La Paille nicht miteinander verkehrten. Zwar trennten sie nur fünfhundert Meter, aber sie arbeiteten nicht in derselben Zone des Marktes. Dieses engmaschige geographische Netz läßt Clans entstehen, die ausschließlich unter sich bleiben, weil es sonst ständig zu Reibereien und Racheaktionen käme. Falls Diala und La Paille gemeinsam im Schlamassel gesessen haben, dann nicht aus eigenem Antrieb, da ist Emilio sich sicher, sondern weil ein Außenstehender sie da reingebracht hat, jemand, dem die Gepflogenheiten des Marktes fremd waren.«
    »Ein Zugereister«, meinte Lamarre, aus der Reserve gelockt.
    Was Adamsberg daran erinnerte, daß der schüchterne Lamarre aus Granville stammte, der Basse-Normandie also.
    »Emilio nimmt an, der Fremde muß sie ihres Formats wegen ausgesucht haben: für einen Gewaltstreich, ein Einschüchterungsmanöver, eine Schlägerei. Jedenfalls ist die Sache gut ausgegangen, denn zwei Tage vor ihrer Ermordung haben sie in seiner Kneipe noch einen gehoben. Es war das erstemal, daß er sie zusammen sah. Das war kurz vor zwei Uhr morgens, und Emilio wollte schließen. Aber er hat sich nicht getraut, sie rauszuschmeißen, denn die beiden Burschen waren mächtig aufgeladen, ziemlich betrunken und hatten die Taschen voller Kohle.«
    »Wir haben kein Geld gefunden, weder an ihnen noch bei ihnen zu Hause.«
    »Wahrscheinlich hat der Mörder es wieder an sich genommen.«
    »Hat: Emilio irgend etwas gehört?«
    »Eigentlich war’s ihm egal, er lief beim Aufräumen hin und her. Aber da die beiden Männer allein waren, waren sie nicht sonderlich vorsichtig und quatschten ununterbrochen in ihrem Suff. So hat Emilio mitbekommen, daß der sehr gut bezahlte Job nur diesen einen Abend lang gedauert hatte. Keine Anspielung auf eine Keilerei oder ähnliches. Das Ganze hatte sich in Montrouge abgespielt, und der Geldgeber hatte sie nach getaner Arbeit dort hängenlassen. In Montrouge, da ist Emilio sich sicher. Ansonsten haben sie nicht über sonderlich viel geredet, abgesehen von der fixen Idee einer kalten Platte, die sie verdrückt hätten. Darüber mußten sie lachen. Emilio hat ihnen zwei Sandwiches gemacht, und um drei Uhr morgens sind sie dann schließlich abgezogen.«
    »Eine Lieferung oder vielleicht die Annahme irgendeines schweren Materials?« überlegte Justin.
    »Das sieht nicht nach Rauschgift aus«, sagte Adamsberg starrsinnig.
    Am Abend zuvor in der Normandie hatte er, ohne abzunehmen, den soundsovielten Anruf von Mortier vorübergehen lassen. Er hätte Mortier den Glauben der Mutter entgegenhalten können, die schwor, daß Diala keine Drogen anrührte. Doch für den Chef des Drogendezernats stellte allein die Tatsache, daß einer eine schwarze alte Mama hatte, schon eine Schuldvermutung dar. Adamsberg hatte beim Divisionnaire einen zweitägigen Aufschub erwirkt, dann mußte die Akte übergeben werden.
    »Retancourt«, fuhr der Kommissar fort, »hat Emilio irgend etwas an ihren Händen, ihrer Kleidung bemerkt? Erde, Schlamm?«
    »Das weiß ich nicht.«
    »Rufen Sie ihn an.«
    Danglard ordnete eine Pause an, Estalère sprang auf. Der Brigadier hegte eine Leidenschaft für etwas, für das sich niemand sonst interessierte, er merkte sich von jedem die technischen Details. Er brachte achtundzwanzig Becher auf drei verschiedenen Tabletts und stellte vor jeden Polizeibeamten sein ganz persönliches Getränk hin, Kaffee, heiße Schokolode, Tee, dünn, stark, mit oder ohne Milch, mit oder ohne Zucker, ein Stückchen, zwei Stückchen, ohne daß ihm beim Verteilen auch nur ein einziger Fehler unterlaufen wäre. So wußte er, daß Retancourt ihren Kaffee stark und ohne Zucker trank, aber immer gern einen kleinen Löffel dazu wollte, mit dem sie überflüssigerweise umrührte. Um nichts in der Welt hätte er das vergessen. Man wußte nicht, welch unschuldiges Vergnügen der Brigadier aus dieser Aufgabe zog, die ihn langsam, aber sicher in einen dienstfertigen Pagen verwandelte.
    Retancourt kam mit ihrem Telefon in der Hand zurück, und Estalère schob ihr ihren Kaffee ohne Zucker und mit Löffel hin. Sie bedankte sich mit einem Lächeln, und der

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