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Die dritte Jungfrau

Die dritte Jungfrau

Titel: Die dritte Jungfrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fred Vargas
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kurz die Augen. Der Neue hatte gelitten, las Adamsberg. Er blies den Rauch zur Decke, während er seiner Antwort etwas hinzuzufügen suchte, konnte sich aber nicht entschließen. In dieser erstarrten Haltung hob seine Oberlippe sich, wie von einem Faden gezogen, nach rechts, und diese Verdrehung verlieh ihm einen besonderen Charme. Das und seine braunen, dreieckigen Augen, die sich an ihren Rändern in einem Wimpernkomma hochbogen. Gefährliches Geschenk vom Divisionnaire Brézillon.
    »Ich bin nicht verpflichtet, darauf zu antworten«, sagte Veyrenc schließlich.
    »Nein.«
    Adamsberg, der seinen neuen Mitarbeiter nur deshalb aufgesucht hatte, um ihn aus Camilles Nähe zu vertreiben, spürte, daß das Gespräch knirschte, ohne daß er den Grund dafür erriet. Und doch, dachte er, war er nicht weit davon entfernt, er würde gleich drauf kommen. Er ließ seinen Blick über das Geländer wandern, über die Wand, dann die Stufen, eine nach der anderen, hinab und wieder hinauf.
    Er kannte dieses Gesicht.
    »Wie, sagten Sie gleich, war Ihr Name?«
    »Veyrenc.«
    »Veyrenc de Bilhc«, korrigierte Adamsberg. »Louis Veyrenc de Bilhc, das ist Ihr vollständiger Name.«
    »In der Tat, so steht’s in den Unterlagen.«
    »Wo sind Sie geboren?«
    »In Arras.«
    »Durch den schlichten Zufall einer Reise, nehme ich an. Sie sind kein Nordfranzose.«
    »Vielleicht nicht.«
    »Ganz sicher nicht. Sie sind aus der Gascogne, aus dem Béarn.«
    »Das stimmt.«
    »Natürlich stimmt das. Ein Béarner aus dem Ossau-Tal.«
    Wieder kniff der Neue die Augen zusammen, als wiche er für einen winzigen Augenblick zurück.
    »Wie können Sie das wissen?«
    »Wenn man den Namen einer Weinsorte trägt, muß man damit rechnen, daß die Leute sich erinnern. Die Rebsorte Veyrenc de Bilhc wächst auf den Hängen des Ossau-Tals.«
    »Und, stört Sie das?«
    »Vielleicht. Die Gascogner sind keine einfachen Menschen. Melancholisch und Einzelgänger, hart in der Arbeit, weich im Kern, ironisch und starrsinnig. Eine Wesensart, die ihre Vorteile hat, vorausgesetzt, man kann sie ertragen. Ich kenne Leute, die können es nicht.«
    »Sie zum Beispiel? Haben Sie ein Problem mit den Béarnern?«
    »Natürlich. Überlegen Sie, Lieutenant.«
    Der Neue setzte sich ein kleines Stück zurück, wie ein Tier auf Abstand geht, um den Feind genauer ins Auge zu fassen.
    »Die Rebsorte Veyrenc de Bilhc kennt kaum jemand«, meinte er.
    »Eigentlich niemand.«
    »Bis auf ein paar Weinbauspezialisten oder die aus dem Ossau-Tal.«
    »Oder wer noch?«
    »Oder die aus dem Nachbartal.«
    »Zum Beispiel?«
    »Die aus dem Gave-Tal.«
    »Sehen Sie, das war nun wirklich kein Kunststück. Können Sie’s nicht mehr erkennen, wenn ein Kerl aus den Pyrenäen vor Ihnen steht?«
    »Es ist nicht gerade hell hier auf der Treppe.«
    »Schon in Ordnung.«
    »Und außerdem verbringe ich meine Zeit auch nicht damit, nach ihnen zu suchen.«
    »Was, glauben Sie, passiert, wenn ein Typ aus dem Ossau-Tal am selben Ort arbeitet wie ein Typ aus dem Gave-Tal?«
    Die beiden Männer dachten eine Weile nach, wobei sie die gegenüberliegende Wand anstarrten.
    »Manchmal«, sagte Adamsberg, »versteht man sich schlechter mit seinem Nachbarn als mit einem Fremden.«
    »Früher hat’s zwischen den Tälern Reibereien gegeben«, bestätigte der Neue, den Blick noch immer auf die Wand gerichtet.
    »Ja. Wegen eines kleinen Stücks Land konnte man sich gegenseitig umbringen.«
    »Wegen eines Grashalms.«
    »Ja.«
    Der Neue stand auf und drehte sich, Hände in den Taschen, auf dem Treppenabsatz herum. Gespräch beendet, schätzte Adamsberg. Man würde es später fortführen und, wenn möglich, anders. Er stand seinerseits auf.
    »Sperren Sie den Verschlag zu, und begeben Sie sich wieder in die Brigade. Lieutenant Retancourt erwartet Sie, um nach Clignancourt zu fahren.«
    Adamsberg verabschiedete sich mit einer Handbewegung und stieg hinab, ziemlich verstimmt. Zumindest verstimmt genug, um sein Skizzenheft auf der Stufe zu vergessen, so daß er die Treppen noch einmal hinaufsteigen mußte. Im sechsten Stock hörte er, wie sich im Halbdunkel Veyrencs angenehme Stimme erhob.
    »Und nun, Seigneur, zu mir. Erst neu in diesem Bund, will schon ein ungerechter Zorn mich niedermäh’n.
    Ist etwa dies die Milde, die man mir so pries, muß ich mich schuldig fühl’n aus meiner Herkunft Grund?«
    Adamsberg stutzte und stieg lautlos die letzten Stufen hinauf.
    »Ist’s ein Verbrechen gar, daß ich geboren ward
    so unweit

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