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Die dritte Jungfrau

Die dritte Jungfrau

Titel: Die dritte Jungfrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fred Vargas
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ihn unverhohlen musterte. Sanft, aber so sanft nun auch wieder nicht. Kraft und ganz sicher Wutanfälle lagen in seinen Augen verborgen, die in der Tat melancholisch waren. In puncto Schönheit hatte Danglard als berufsmäßiger Pessimist, der er war, die Dinge zu schwarz gemalt, er gab sich immer schon vor dem Kampf geschlagen. Relativ schön, aber mehr relativ als schön und nur, wenn man es wollte. Im übrigen war der Mann kaum größer als er. Auch wuchtiger, da der Körper und das Gesicht von einer eher weichen Substanz umhüllt waren.
    »Tut mir leid«, sagte Adamsberg. »Ich habe unsere Verabredung versäumt.«
    »Nicht weiter wichtig. Man hat mir gesagt, Sie hätten eine dringende Sache zu erledigen.«
    Schöne Stimme, sanft, kontrolliert. Angenehm, relativ. Der Neue drückte seine Zigarette in einem Taschenaschenbecher aus.
    »Eine wirklich dringende Sache, stimmt.«
    »Ein weiterer Mord?«
    »Nein, der Frühlingsbeginn.«
    »Einverstanden«, antwortete der Neue nach einer kurzen Pause.
    »Wie läuft’s mit der Überwachung?«
    »Endlos und nichtssagend.«
    »Uninteressant?«
    »Absolut.«
    Perfekt, schlußfolgerte Adamsberg. Er hatte Glück gehabt, der Mann war blind, unfähig, Camille unter tausend anderen zu erkennen.
    »Wir unterbrechen sie vorläufig. Eine Mannschaft aus dem 13. Arrondissement wird Sie ablösen.«
    »Wann?«
    »Jetzt.«
    Der Neue warf einen Blick in den Verschlag, und Adamsberg fragte sich, ob er irgendeiner Sache darin nachtrauerte. Doch nein, es war nur diese Melancholie in seinen Augen, die den Eindruck erweckte, er hielte sich länger als andere mit den Dingen auf. Er sammelte seine Bücher ein und kam, ohne sich umzuwenden, wieder heraus, auch achtete er nicht im geringsten auf Camilles Tür. Blind und im Grunde beinahe flegelhaft.
    Adamsberg stellte die automatische Hausflurbeleuchtung auf Dauerbetrieb, setzte sich auf die erste Treppenstufe und zeigte seinem Kollegen den Platz neben sich. Durch seine stürmischen Jahre mit Camille waren ihm dieser Treppenabsatz wie auch das Treppenhaus sehr vertraut geworden, so daß jede der Stufen fast einen Namen besaß, Ungeduld, Nachlässigkeit, Untreue, Kummer, Bedauern, Untreue, Umkehr, Gewissensbisse, das Ganze endlos als Wendeltreppe.
    »Wieviel Stufen, glauben Sie, hat diese Treppe?« fragte Adamsberg. »Neunzig?«
    »Hundertacht.«
    »Das machen Sie? Sie zählen die Stufen?«
    »Ich bin ein organisierter Mensch, so steht es auch in meinen Unterlagen.«
    »Setzen Sie sich, ich habe Ihre Unterlagen kaum gelesen. Sie wissen, daß Sie auf Probe in dieser Brigade eingestellt wurden und dieses Gespräch nichts daran ändert.«
    Der Neue nickte und nahm auf der Treppenstufe Platz, nicht unverschämt, aber auch ohne Hemmungen. Im Schein der Glühbirne bemerkte Adamsberg die roten Strähnen, von denen sein allseits dunkles Haar zebraartig durchzogen war, wodurch seltsame Lichtpunkte darin entstanden. Eine derart dichte, gewellte Haarpracht, daß man sie wahrscheinlich nur mit Mühe durchkämmen konnte.
    »Es gab viele Bewerbungen auf diese Stelle«, sagte Adamsberg. »Durch welche Fähigkeiten haben Sie’s zum Finalisten gebracht?«
    »Durch Beziehungen. Ich kenne den Divisionnaire Brézillon sehr gut. Ich habe seinem jüngsten Sohn früher mal aus der Patsche geholfen.«
    »In einer Strafangelegenheit?«
    »In einer Angelegenheit, die die Sitten betraf, in dem Internat, in dem ich unterrichtete.«
    »Demnach sind Sie nicht von Geburt an Bulle?«
    »Ich habe als Lehrer begonnen.«
    »Durch welchen schlechten Zufall haben Sie umgesattelt?«
    Der Neue zündete sich eine Zigarette an. Quadratische Hände, kompakt. Verführerisch, relativ.
    »Die Liebe«, riet Adamsberg.
    »Sie war Polizistin, ich habe gedacht, es wäre gut, ihr zu folgen. Aber indem ich ihr folgte, habe ich sie verloren, nur die Polizei ist mir geblieben, die habe ich seitdem am Hals.«
    »Schade.«
    »Ja.«
    »Warum wollten Sie diesen Posten? Wegen Paris?«
    »Nein.«
    »Wegen der Brigade?«
    »Ja. Ich hatte mich informiert, das Ganze sagte mir zu.«
    »Wie waren denn Ihre Informationen?«
    »Reichlich und widersprüchlich.«
    »Ich dagegen bin ganz und gar nicht informiert. Ich weiß nicht einmal Ihren Namen. Man nennt Sie noch immer den Neuen.«
    »Veyrenc. Louis Veyrenc.«
    »Veyrenc«, wiederholte Adamsberg lerneifrig. »Und woher haben Sie diese roten Haare, Veyrenc? Das läßt mir keine Ruhe.«
    »Mir auch nicht, Kommissar.«
    Der Neue wandte das Gesicht ab und schloß

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