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Die dritte Jungfrau

Die dritte Jungfrau

Titel: Die dritte Jungfrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fred Vargas
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junge Mann setzte sich glücklich wieder neben sie. Von allen hatte Estalère offenbar als einziger nicht recht begriffen, daß er in einer Mordbrigade arbeitete, er schien sich wohl zu fühlen in dieser Truppe wie ein Halbwüchsiger in seiner Bande. Es hätte nicht viel gefehlt, und er hätte hier geschlafen.
    »Ihre Hände waren schmutzig und erdverkrustet«, sagte Retancourt. »Ihre Schuhe auch. Nachdem sie aufgebrochen sind, hat Emilio den getrockneten Schlamm und die Kiesel weggefegt, die sie unter dem Tisch zurückgelassen hatten.«
    »Woran denkt ihr dabei?« fragte Mordent und schob den Kopf aus seinem krummen Rücken, was an einen großen, dickbäuchigen Graureiher erinnerte, der sich auf dem Rand des Tisches niedergelassen hatte. »Haben sie in einem Garten gearbeitet?«
    »Auf alle Fälle in Erde.«
    »Sollen wir die Grünanlagen und Brachen von Montrouge durchforschen?«
    »Was sollen sie denn in einer Grünanlage gemacht haben? Mit was Schwerem?«
    »Finden Sie’s heraus«, sagte Adamsberg, der aufgab und plötzlich das Interesse am Kolloquium verlor.
    »Transport einer Truhe?« überlegte Mercadet laut.
    »Was willst du denn mit einer Truhe in einem Garten?«
    »Na, dann eben irgendwas anderes Schweres«, entgegnete Justin. »Auf jeden Fall schwer genug, daß man zwei Muskelprotze anheuern muß, die’s mit der Art der Arbeit nicht allzu genau nehmen.«
    »Einer ziemlich heiklen Arbeit, wenn man ihnen dafür hinterher das Maul gestopft hat«, konstatierte Noël.
    »Ein Loch graben, eine Leiche verscharren«, schlug Kernorkian vor.
    »So was macht man allein«, entgegnete Mordent, »und nicht mit zwei Unbekannten.«
    »Einen schweren Körper«, sagte Lamarre freundlich. »Aus Bronze, aus Stein, eine Statue zum Beispiel.«
    »Und warum willst du eine Statue beerdigen, Lamarre?«
    »Ich habe nicht gesagt, daß ich sie beerdigen will.«
    »Und was machst du dann mit deiner Statue?«
    »Ich stehle sie von einem öffentlichen Ort«, sagte Lamarre und überlegte, »ich transportiere sie ab und verkaufe sie. Kunsthandel. Weißt du, wieviel so was wert ist, eine Statue von der Fassade von Notre-Dame?«
    »Das sind Kopien«, unterbrach Danglard. »Nimm Chartres.«
    »Weißt du, wieviel so was wert ist, eine Statue von der Kathedrale in Chartres?«
    »Nein, wieviel?«
    »Woher soll ich das wissen? Tausende und aber Tausende.«
    Adamsberg hörte nur noch zusammenhanglose Bruchstücke, Garten, Statue und aber Tausende. Danglards Hand legte sich auf seinen Arm.
    »Wir werden die Sache anders angehen«, sagte er und nahm einen Schluck Kaffee. »Retancourt stattet Emilio noch einmal einen Besuch ab. Sie nimmt Estalère mit, denn er hat gute Augen, und den Neuen, weil er ausgebildet werden muß.«
    »Der Neue sitzt im Verschlag.«
    »Dann werden wir ihn da rausholen.«
    »Er ist schon elf Jahre bei der Polizei, oder?« sagte Noël. »Er muß doch nicht wie ein Kind von uns geschult werden.«
    »Schulung, was den Umgang mit Ihnen allen hier betrifft, Noël, das ist nicht dasselbe.«
    »Wonach suchen wir bei Emilio?« fragte Retancourt.
    »Nach Resten von den Kieseln, die sie auf dem Boden zurückgelassen haben.«
    »Kommissar, es ist schon dreizehn Tage her, daß die beiden Männer in dieses Café gekommen sind.«
    »Ist der Boden gefliest?«
    »Ja, schwarzweiß.«
    »Klar, wie sonst«, sagte Noël und lachte auf.
    »Haben Sie schon mal versucht, Kies zusammenzufegen? Ohne daß auch nur das kleinste Körnchen verlorengeht, entwischt? Emilios Kneipe ist kein Luxushotel. Mit ein bißchen Glück hat sich ein Kiesel in einen Winkel verkrümelt, ist unbemerkt dort liegengeblieben und wartet auf uns.«
    »Wenn ich die Anweisung recht verstehe«, fuhr Retancourt fort, »gehen wir also einen kleinen Kieselstein suchen?«
    Bisweilen tauchte Retancourts alte Feindseligkeit gegenüber Adamsberg an der Oberfläche ihrer Beziehungen wieder auf, obgleich ihr Zwist sich in Quebec in einer außergewöhnlichen Nahkampfstellung gelöst hatte, die den Lieutenant und ihren Kommissar für das ganze Leben zusammengeschweißt hatte. {3} Doch Retancourt, die zu den Positivisten zählte, fand, Adamsbergs verschwommene Weisungen zwinge die Mitglieder seiner Brigade, allzuoft aufs Geratewohl zu handeln. Sie warf dem Kommissar vor, die Intelligenz seiner Mitarbeiter zu mißachten, sich weder zu Erklärungen aufraffen zu können noch Brücken zu schlagen, um sie über seine Sümpfe zu führen. Aus dem einfachen Grund, sie wußte es ja, weil er dazu

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