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Die dritte Jungfrau

Die dritte Jungfrau

Titel: Die dritte Jungfrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fred Vargas
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Eures Tals? Ist’s eine Kränkung, daß
    dieselben Wolken ich umfing mit meinem Blick?«
    Veyrenc, den Kopf gesenkt, lehnte mit dem Rücken am Türstock des Verschlags, rote Tropfen schimmerten in seinem Haar.
    »Daß ich als Kind auf jenen Bergen lief entlang, die auch die Euren war’n, gereicht aus Götterhand?«
    Adamsberg sah, wie sein neuer Mitarbeiter die Arme verschränkte und still in sich hinein lächelte.
    »Ich verstehe«, sagte der Kommissar langsam.
    Überrascht richtete der Lieutenant sich auf.
    »Das steht in meinen Unterlagen«, entschuldigte er sich auf eine sonderbare Weise.
    »In welchem Zusammenhang?«
    Veyrenc fuhr sich verlegen durchs Haar.
    »Der Kommissar in Bordeaux konnte es nicht ertragen. Der in Tarbes nicht. Und der in Nevers auch nicht.«
    »Konnten Sie sich nicht zusammennehmen?«
    »Seigneur, ich kann es nicht, es kommt wie eine Flut.
    Zu dieser Sünde drängt mich meiner Ahnin Blut.«
    »Wie machen Sie das? Im Wachzustand? Im Schlaf? Unter Hypnose?«
    »Es ist familienbedingt«, sagte Veyrenc ein wenig schroff. »Ich kann nichts dafür.«
    »Wenn es familienbedingt ist, ist es natürlich etwas anderes.«
    Veyrenc verdrehte seine Lippe und öffnete in einer schicksalsergebenen Geste die Hände.
    »Ich schlage Ihnen vor, mit mir zusammen in die Brigade zurückzukehren, Lieutenant. Dieses Kabuff bekommt Ihnen womöglich nicht.«
    »Das stimmt«, sagte Veyrenc, dem sich beim Gedanken an Camille plötzlich der Magen zusammenkrampfte.
    »Kennen Sie Retancourt? Sie übernimmt Ihre Ausbildung.«
    »Gab’s was Neues in Clignancourt?«
    »Das wird es, wenn man einen Kieselstein unter einem Tisch findet. Sie wird Ihnen sicher davon erzählen, es gefällt ihr nämlich nicht.«
    »Warum übergeben Sie den Fall nicht den Drogenfahndern?« fragte Veyrenc und stieg, seine Bücher unterm Arm, neben dem Kommissar die Treppe hinunter.
    Adamsberg senkte wortlos den Kopf.
    »Können Sie’s mir nicht sagen?« beharrte der Lieutenant.
    »Doch. Aber ich überlege, wie ich’s Ihnen sage.«
    Veyrenc, eine Hand auf dem Treppengeländer, wartete. Er hatte zuviel über Adamsberg gehört, um seine Absonderlichkeiten zu übergehen.
    »Diese Toten sind für uns bestimmt«, sagte Adamsberg schließlich. »Sie sind in einem Netz gefangen gewesen, einem Flechtgewirr, einem Spinngewebe. In einem Schatten, in den Runzeln eines Schattens.«
    Adamsberg richtete seinen verhangenen Blick auf einen ganz bestimmten Punkt an der Wand, an dem er die Worte zu suchen schien, die ihm zur Auskleidung seines Gedankens fehlten. Dann gab er auf, und die beiden Männer liefen bis zur Haustür hinunter, wo Adamsberg ein letztes Mal stehenblieb.
    »Bevor wir Kollegen werden, sagen Sie mir, woher Sie diese roten Haare haben.«
    »Ich glaube nicht, daß Ihnen die Geschichte gefallen wird.«
    »Mich ärgert wenig, Lieutenant. Mich bringt wenig aus der Fassung. Manches schockiert mich.«
    »Genau das erzählt man sich über Sie.«
    »Stimmt.«
    »Als Kind bin ich überfallen worden, im Weinberg. Ich war acht Jahre alt, die Typen waren dreizehn oder fünfzehn. Eine kleine Bande von fünf Dreckskerlen. Sie hatten es auf uns abgesehen.«
    »Auf uns?«
    »Mein Vater war der Besitzer des Weinbergs, sein Wein wurde langsam berühmt, das war eine Konkurrenz. Sie haben mich an den Boden gedrückt und mir den Kopf mit verrosteten Eisenteilen zerschnitten. Danach haben sie mir eine Glasscherbe in den Bauch gerammt.«
    Adamsberg, die Hand schon an der Tür, hatte innegehalten, seine Finger krampften sich um den Türknauf.
    »Soll ich weitererzählen?« fragte Veyrenc.
    Der Kommissar ermunterte ihn mit einer schwachen Handbewegung.
    »Sie haben mich mit offenem Bauch und vierzehn Einschnitten in der Kopfhaut am Boden liegengelassen. Aus den vernarbten Schnittwunden sind wieder Haare gewachsen, aber rote. Keine weitere Erklärung. Es ist eine Erinnerung.«
    Adamsberg sah einen Augenblick zu Boden, dann blickte er den Lieutenant an.
    »Was sollte mir an Ihrer Geschichte denn nicht gefallen?«
    Der Neue preßte die Lippen zusammen, und Adamsberg sah seine dunklen Augen, die ihn vielleicht dazu bringen wollten, den Blick zu senken. Melancholische Augen, aber nicht immer, und nicht bei allen. Die beiden Bergmenschen taxierten sich wie zwei rivalisierende Steinböcke, regungslos, die Hörner in einem stummen Geschiebe verkeilt. Es war der Lieutenant, der nach einer kurzen Bewegung, die die Niederlage anzeigte, den Kopf abwandte.
    »Erzählen Sie die

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