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Die dritte Jungfrau

Die dritte Jungfrau

Titel: Die dritte Jungfrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fred Vargas
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verfluchten Job, den sie gerade erledigt hatten. Sie sprachen von einer Platte. Nicht ›verdrücken‹ meinten sie, sondern ›verrücken‹. Von einer Platte, die sich nicht verrücken oder kaputtschlagen ließ. Einer Platte, die so schwer war, daß man dafür ihre starken Arme brauchte. In Montrouge.«
    »Einer Grabplatte«, sagte Gardon plötzlich. »Auf dem großen Friedhof in Montrouge.«
    »Sie haben eine Steinplatte weggerückt, sie haben ein Grab geöffnet. Los geht’s. Nehmen Sie alle Taschenlampen mit.«
     
    Der Friedhofswärter ließ sich nur mit Mühe wecken, aber leicht befragen. Bei seinen endlosen Nächten war eine Abwechslung, selbst polizeilicher Natur, immer willkommen. Ja, jemand hatte eine Steinplatte weggeschoben. Und sie war zu Bruch gegangen, als man sie heruntergezogen hatte. Sie lag, als man sie fand, in zwei Hälften zerbrochen neben dem Grab. Die Familie hatte inzwischen einen neuen Grabstein aufstellen lassen.
    »Und das Grab?« fragte Adamsberg.
    »Was soll sein mit dem Grab?«
    »Nachdem die Platte entfernt wurde? Was ist dann passiert? Hat man darin herumgegraben?«
    »Eben nicht. Da wollte nur einer den Leuten auf den Keks gehen.«
    »Wann war das?«
    »Vor ungefähr zwei Wochen. In der Nacht von Mittwoch zu Donnerstag. Ich suche Ihnen das Datum heraus.«
    Der Wärter zog ein dickes Verzeichnis mit fleckigen Seiten aus dem Regal.
    »Die Nacht vom 6. zum 7.«, sagte er. »Ich schreibe alles auf. Wollen Sie die Erkennungsdaten der Grabstätte?«
    »Später. Führen Sie uns zuerst hin.«
    »Nein«, sagte der Wärter und wich in das kleine Zimmer zurück.
    »Nun führen Sie uns schon hin, verflucht. Wie sollen wir’s denn sonst finden? Der Friedhof ist groß wie ein See.«
    »Nein«, wiederholte der Mann. »Niemals.«
    »Sind Sie nun der Wärter oder nicht?«
    »Zur Zeit sind wir zwei hier. Also, ich jedenfalls geh da nicht mehr rein.«
    »Zwei? Es gibt noch einen anderen Wärter?«
    »Nein. Jemand anderes, nachts.«
    »Wer?«
    »Weiß nicht, ich will’s auch gar nicht wissen. Es ist eine Gestalt. Also, ich jedenfalls geh da nicht mehr rein.«
    »Haben Sie sie gesehen?«
    »Wie ich Sie jetzt sehe. Es ist kein Mann, es ist keine Frau, es ist ein grauer Schatten, ein langsamer. Er lief mit so rutschigen Schritten, knapp vorm Hinfallen. Aber er fiel nicht hin.«
    »Wann war das?«
    »Zwei oder drei Tage bevor die Grabplatte verrückt wurde. Also, ich jedenfalls geh da nicht mehr rein.«
    »Aber wir schon, und Sie begleiten uns. Wir werden Sie nicht allein lassen, ich habe hier einen Lieutenant, der Sie beschützen wird.«
    »Keine Wahl, was? Bei den Bullen? Und Sie nehmen ein Baby mit auf die Expedition? Na, Sie haben ja Mumm.«
    »Das Baby schläft. Dem Baby passiert schon nichts. Und wenn selbst das Baby mitgeht, können Sie auch mitgehen. Oder?«
    Umrahmt von Retancourt und Voisenet, führte der Wärter sie rasch zum Grab, er hatte es schrecklich eilig, wieder in seinen Unterschlupf zurückzukehren.
    »Da wären wir«, sagte er. »Hier war’s.«
    Adamsberg richtete die Taschenlampe auf den Stein.
    »Eine junge Frau«, sagte er. »Gestorben mit sechsunddreißig Jahren, vor gut drei Monaten. Wissen Sie, woran?«
    »Ein Autounfall, das ist alles, was ich erfahren habe. Traurig, so was.«
    »Ja.«
    Estalère hatte sich auf den Weg niedergebeugt und harkte den Boden ab.
    »Die Kiesel, Kommissar. Es sind dieselben.«
    »Ja, Brigadier. Nehmen Sie trotzdem eine Probe.«
    Adamsberg schwenkte den Lichtkegel der Lampe auf seine Uhren.
    »Gleich halb sechs. In einer halben Stunde wecken wir die Familie. Wir brauchen die Erlaubnis.«
    »Um was zu tun?« fragte der Wärter, der in der Gruppe wieder etwas selbstsicherer wurde.
    »Um die Grabplatte zu entfernen.«
    »Verflucht, wie oft werden Sie den Stein denn noch runternehmen?«
    »Wenn wir die Platte nicht runternehmen, wie sollen wir dann wissen, warum sie es getan haben?«
    »Klingt ziemlich logisch«, murmelte Voisenet.
    »Aber sie haben nicht drin gegraben«, protestierte der Wärter. »Verflixt, das hab ich Ihnen doch gesagt. Da war nichts, nicht mal das Loch einer Nadel. Und außerdem: Auf der Erde lagen noch überall die verwelkten Rosenstengel. Das ist doch ein Beweis dafür, daß sie da drin nichts angerührt haben, oder?«
    »Vielleicht, aber wir müssen es überprüfen.«
    »Vertrauen Sie mir etwa nicht?«
    »Zwei Tage später mußten zwei Burschen deswegen sterben. Man hat beiden die Kehle durchgeschnitten. Das ist ein hoher Preis

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