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Die dritte Jungfrau

Die dritte Jungfrau

Titel: Die dritte Jungfrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fred Vargas
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Danglard.«
     
    Adamsberg hatte sich auf seinem neuen Bett ausgestreckt, das Kind auf seinem Bauch lag festgeklammert wie ein kleiner Affe am Brustfell des Vaters. Alle beide satt, alle beide friedlich, alle beide still, eingesunken in dem riesigen roten Federbett, einem Geschenk von Adamsbergs zweiter Schwester. Auf dem Dachboden kein Anzeichen von der Nonne. Lucio Velasco hatte ihn vorhin diskret über Clarisses Anwesenheit ausgefragt, und Adamsberg hatte ihn beruhigt.
    »Ich werde dir eine Geschichte erzählen, Sohn«, sagte Adamsberg in der Dunkelheit. »Eine Geschichte aus den Bergen, aber nicht mehr die von dem opus piscatum. Von diesen Mäuerchen haben wir genug. Ich werde dir die Geschichte von dem Steinbock erzählen, der einen anderen Steinbock traf. Du mußt wissen, der Steinbock mag es nicht, wenn ein anderer Steinbock sein Haus betritt. Alle anderen Tiere hat er sehr gern, die Kaninchen, die Vögel, die Bären, die Murmeltiere, die Wildschweine, alles, was du willst, aber nicht den anderen Steinbock. Weil der andere Steinbock ihm sein Stück Land und seine Frau wegnehmen will. Und er stößt ihn mit riesigen Hörnern.«
    Thomas bewegte sich, als würde er den Ernst der Lage begreifen, und Adamsberg umschloß seine Fäustchen mit seinen Händen.
    »Mach dir keine Sorgen, es wird gut ausgehen. Aber heute wäre ich beinahe von den Hörnern gestoßen worden. Also habe ich zurückgerempelt, und der rothaarige Steinbock hat Reißaus genommen. Auch du wirst später Hörner kriegen. Die schenken dir die Berge. Und ich weiß nicht, ob das gut ist oder nicht. Aber es sind deine Berge, du kannst nichts dafür. Morgen oder an einem anderen Tag wird der rothaarige Steinbock für einen zweiten Angriff wiederkommen. Ich glaube, er ist wütend.«
    Die Geschichte schläferte Adamsberg noch vor seinem Sohn ein. Es war Nacht, keiner von beiden hatte sich auch nur einen Millimeter bewegt. Adamsberg öffnete urplötzlich die Augen, streckte den Arm nach seinem Telefon aus, er kannte ihre Nummer auswendig.
    »Retancourt? Sind Sie im Bett oder in Montrouge?«
    »Ihrer Meinung nach?«
    »In Montrouge, im Schlamm einer Baustelle.«
    »Einer Brache.«
    »Und die anderen?«
    »Weit verstreut. Wir suchen ab, sammeln auf.«
    »Rufen Sie sie allesamt zurück, Lieutenant. Wo sind Sie?«
    »Avenue Jean-Jaurès, in Höhe der Nummer 123.«
    »Rühren Sie sich nicht von der Stelle. Ich komme.«
    Adamsberg stand behutsam auf, zog rasch eine Hose über, machte das Kind an seinem Bauch fest. Solange er eine Hand auf seinem Kopf und die andere unter seinem Po ließ, bestand keine Gefahr, daß Tom aufwachte. Und solange Camille nicht erfuhr, daß er seinen Sohn in die kalte Nacht von Montrouge mit hinausnahm, in der schlechten Gesellschaft von Bullen, würde alles gut gehen.
    »Du jedenfalls wirst mich nicht verraten, nicht wahr, Tom?« murmelte er und wickelte ihn in eine Decke. »Du sagst ihr doch nicht, daß wir beide nachts weggehen? Ich habe keine andere Wahl, wir haben nur noch einen einzigen Tag. Komm, kleiner Kerl, und schlaf.«
    Ein Taxi setzte Adamsberg fünfundzwanzig Minuten später an der Avenue Jean-Jaurès ab. Die Truppe wartete als versammelter Haufen auf dem Bürgersteig.
    »Bist du verrückt, den Kleinen mitzubringen«, sagte Retancourt, die auf das Auto zugelaufen kam.
    Manchmal, und zwar seit jener bewußten Nahkampfstellung, die ihrer beider Leben gerettet hatte, wechselten der Kommissar und der Lieutenant den Ton, wie ein Zug das Gleis wechselt, und gingen zum Du der vertrauten und unumstößlichen Komplizenschaft über. Sie wußten beide, daß ihre Vereinigung sich nicht rückgängig machen ließ. Unverbrüchliche Liebe, wie alle Lieben, die nicht gelebt wurden.
    »Mach dir keine Sorgen, Violette, er schläft wie ein Engel. Solange du mich nicht an Danglard verrätst, der mich an Camille verraten würde, wird alles gut gehen. Warum ist der Neue hier?«
    »Er vertritt Justin.«
    »Wie viele Autos habt ihr?«
    »Zwei.«
    »Nimm du eins, ich steige ins andere. Wir treffen uns am Haupteingang des Friedhofs wieder.«
    »Warum?« fragte Estalère.
    Adamsberg strich sich kurz über die Wange.
    »Weil Ihre Kieselsteine von dort stammen, Brigadier. Die fixe Idee von Diala und La Paille, erinnern Sie sich.«
    »Sie hatten eine fixe Idee?«
    »Ja, sie redeten davon.«
    »Von einer kalten Platte, die sie verdrückt hätten«, sagte Voisenet.
    »Ja, und darüber mußten sie lachen. Die redeten nicht vom Essen, sondern von dem

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