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Die dritte Jungfrau

Die dritte Jungfrau

Titel: Die dritte Jungfrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fred Vargas
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ebenso unspektakulären wie glanzlosen Macht der Verführung, die sich weder mit Worten beschreiben noch begründen ließ. Ein unverschämtes Phänomen, das Danglard stets befriedigt und gleichzeitig verärgert zurückließ, war er doch hin und her gerissen zwischen seiner Zuneigung für Adamsberg und seinem Mitgefühl für sich selbst.
    »Ja«, meinte Danglard herumschnuppernd, »das ist ein extrem teures Öl, das in winzigen Ampullen verkauft wird, es soll gegen Nervosität helfen. Man tut sich einen Tropfen auf jede Schläfe und einen auf den Nacken, das vertreibt jedes Übel. Kernorkian hat so was, in der Brigade.«
    »Sie haben recht, Danglard, das ist es. Genau daher kenne ich den Geruch. Und ich glaube nicht, Doktor, daß Ihr Patient so was benutzte.«
    Der Mediziner warf einen Blick in die zwei ärmlichen Zimmer, die eher von bescheidenen Lebensumständen als vom Duft einer Luxussalbe sprachen.
    »Das besagt gar nichts«, warf er ein.
    »Weil Sie nicht bei der Frau waren, die vor zwei Monaten gestorben ist. Es war derselbe Geruch. Erinnern Sie sich, Danglard, Sie waren dabei.«
    »Ich habe nichts bemerkt.«
    »Und Sie, Romain?«
    »Nein, tut mir leid.«
    »Es war derselbe Geruch. Und demnach ein und dieselbe Person, die hier wie dort vorbeigekommen ist, kurz bevor die beiden jeweils starben. Wer war seine Krankenschwester, Doktor?«
    »Eine sehr kompetente Frau, die ich ihm empfohlen hatte.«
    Der Mediziner rieb sich verlegen die Schulter.
    »Sie war schon im Ruhestand. Sie arbeitete also, wie soll ich sagen, gewissermaßen schwarz. Dadurch konnten sich viele meiner Kranken tägliche Hausbesuche leisten, die nicht allzuviel kosteten. Wenn kein Geld mehr da ist, muß man das Gesetz eben umgehen.«
    »Wie heißt sie?«
    »Claire Langevin. Eine sehr kompetente Frau, vierzig Jahre Krankenhauserfahrung, war auf Geriatrie spezialisiert.«
    »Danglard, rufen Sie in der Brigade an. Die sollen den behandelnden Arzt der alten Dame noch mal raussuchen. Sollen ihn anrufen. Sollen den Namen der Krankenschwester erfragen, die sich um sie kümmerte.«
     
    Man wartete fachsimpelnd zwanzig Minuten, während Danglard zum Dienstwagen zurückging. Der Mediziner holte unter dem Bett seines Patienten eine Flasche schlechten Aperitifwein hervor.
    »Davon hat er mir immer ein Schlückchen angeboten, ein echter Fusel.«
    Er stellte ihn ein wenig betrübt wieder unter das Bett. Und Danglard kam in die Wohnung zurück.
    »Claire Langevin«, verkündete er.
    Ein Schweigen trat ein, die Blicke richteten sich auf den Kommissar.
    »Eine Killerkrankenschwester«, meinte Adamsberg. »Eine von denen, die man die Todesengel nennt. Wenn sie auf die Erde kommen, töten sie. Und sie tauchen immer aus heiterem Himmel auf.«
    »Großer Gott«, flüsterte der Mediziner.
    »Wer sind ihre anderen Kranken, Doktor? Ich meine die, denen Sie sie empfohlen hatten?«
    »Großer Gott.«
     
    In weniger als einem Monat hatte man die grausige Liste von dreiunddreißig Opfern des mordenden Engels zusammengestellt, von Krankenhaus zu Klinik, von Wohnung zu Ambulanz. Seit fast einem halben Jahrhundert war sie in Deutschland wie auch in Frankreich und Polen unterwegs gewesen und hatte den Tod gebracht, indem sie von Arm zu Arm Luftbläschen säte.
    An einem Februarmorgen umstellten Adamsberg und vier seiner Männer ihr Vororthäuschen, den Kiesweg und die schnurgeraden Rabatten. Vier gestandene Männer, vier Polizisten, die Erfahrung hatten im Umgang mit männlichen Mördern großen Kalibers, vier Männer, die an jenem Tag jedoch nahezu hilflos dastanden und vor Unbehagen schwitzten. Kaum rastet die Weiblichkeit aus, dachte Adamsberg, gerät die Welt ins Wanken. Im Grunde, meinte er zu Danglard, während sie den schmalen Weg hinaufgingen, bringen sich die Männer nur deshalb gegenseitig um, weil die Frauen es nicht tun. Aber sobald diese einmal die rote Linie überschreiten, gerät die Welt aus den Fugen. Vielleicht, erwiderte Danglard, der sich genauso unwohl fühlte wie die anderen.
    Die Tür öffnete sich vor einer runzligen, sauberen und rechtschaffen wirkenden Frau, die sie bat, ja auf die Blumen, die Wände und das Parkett achtzugeben. Adamsberg blickte sie an, doch er sah nichts in diesem Gesicht, weder die Glut des Hasses noch die Mordlust, die er bisweilen bei anderen festgestellt hatte. Nur eine ausdruckslose, etwas schmächtige Frau. Beinahe wortlos legten die Bullen ihr die Handschellen an, während sie ihre Floskeln herunterstotterten, worauf

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